Veröffentlicht am
06.02.2023
Lesedauer
6 Minuten
Herunterladen
Artikel herunterladen
Drucken
Textgröße

Bernd Keller: "Ein T-Shirt kann ein Gefühl vermitteln - das Gefühl gut auszusehen und etwas Gutes getan zu haben"

Veröffentlicht am
06.02.2023

1C1Y hat CSR zum Label-Konzept erklärt. Der Ansatz aus Social Fashion und Luxusdesign hat mehr als nur Vorbildcharakter für die Branche. Mit jedem verkauften Piece unterstützt die 2022 gegründete deutsche Modemarke die Non-Profit-Partnerorganisation ARTHELPS mit 60 Euro, um benachteiligten Kindern eine kreative Perspektive zu bieten. So auch mit der neuen Kollektion "Workers of Hope", die am 9. Februar herauskommt. Im Interview mit FashionNetwork.com erklärt Mitgründer und Head of Design Bernd Keller, der sich nach einer Modekarriere bei Hugo Boss, Marc O’Polo, Puma und Adidas mit 1C1Y einen persönlichen Traum verwirklicht hat, was ihn antreibt und wie er das Label weiter positionieren will.

Lookbook-Motiv der HW-Kollektion für 2022/23 von 1C1Y. - Eileen Jordan


FashionNetwork.com: Social Fashion bedeutet bei 1C1Y (One Child One Year) vor allem künstlerische Förderung von Kindern und Jugendlichen. Das ist ein Ansatz. Warum sollte die über Jahrzehnte gewachsene Modeindustrie etwas zurückgeben?  
  
Bernd Keller: Weil auch die über Jahrzehnte gewachsene Modeindustrie von Menschen gesteuert wird. Egal auf welcher Seite wir stehen: Modemarke oder Konsument. Wir durften in den letzten drei Jahren eine neue Realität unseres Alltags erleben, der uns in verschiedenen Richtungen prägt. Die Industrie muss umdenken, bekannte Routinen, die seit Jahrzehnten befolgt wurden, mussten hinterfragt werden. Die Globalisierung zeigte über Rohstoffengpässe die vernetzte Abhängigkeit in allen Konsumgütern, ob Medikamente, Toilettenpapier oder dem T-Shirt. Die Sensibilisierung des Konsumenten steigt ständig. 

FNW: Das macht das Geschäft nicht einfacher.  

BK: Damit steigen die Anforderungen bezüglich Transparenz in der Lieferkette, sozialen Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit seit 15 Jahren kontinuierlich an. Bereits 2019 waren in Deutschland nachhaltige Werte für 30 Prozent der Konsumenten wichtige Kaufentscheidungskriterien. Corona hat uns wachgerüttelt. Egal ob Industrie oder Modefan: Es ist ein Crashkurs in Changemanagement. Change for good! 
  
FNW: Sind Sie zuversichtlich, dass die Branche wirklich einen nachhaltigen Turnaround schafft? 

BK: Ich liebe unsere Branche, das Entwickeln innovativer fertiger Stoffe, das Finetuning beim letzten Fitting. Aber am meisten schätze ich die Arbeit mit den Menschen, die mit mir zusammen mit Leidenschaft und Knowhow an diesen neuen Outfits arbeiten. Es sind Beziehungen, die uns durch Zeiten von Stürmen tragen. Das durften wir im Berufsleben aber auch im Privaten spüren. Und es geht jeden an. Daher bin ich so optimistisch, dass es bereits jetzt um mehr geht, als einen Stoffverbrauch von 1-Meter, Kosten und Margen. Ein T-Shirt kann ein Gefühl vermitteln - das Gefühl gut auszusehen und etwas Gutes getan zu haben: ein Kinderlächeln, Hoffnung, Zukunft.

Lookbook-Motiv der HW-Kollektion für 2022/23 von 1C1Y. - Eileen Jordan


FNW: Was sind die zentralen Problempunkte in der Textilindustrie? 

BK: Das Commitment zur Nachhaltigkeit hat mich 2018 dazu bewegt, mich selbstständig zu machen und meine Position im Vorstand eines tollen Unternehmens zu verlassen. Der Sustainability-Bereich ist sehr breit gefächert. Es geht um Veränderung und darum, in der Entwicklung und Produktion Verantwortung zu übernehmen. All das beginnt mit dem eigenen Willen der Firmen, der Vermarktung und dem Kunden zur Veränderung. Anstatt andere für ihr Verhalten zu kritisieren, sollten wir lernen, mit voller Überzeugung, Leidenschaft und Freude zu inspirieren - ohne dabei den Zeigefinger zu heben. 

FNW: Wie kam es zu der Gründung von 1C1Y? Worin liegt Ihr Fokus bei der Arbeit für Ihr Label? 

BK: Mode ist mein Ding - ich kann auch nicht anders. Ich habe bei 1C1Y nicht nur die Möglichkeit, Talente, die mir geschenkt wurden, sinnvoll einzusetzen, sondern auch eine neue Ebene zu eröffnen. Im Unterschied zu anderen Marken, steht bei 1C1Y das Ziel vor Augen, Kindern durch unsere Arbeit Hoffnung und Perspektive geben zu können. Dabei bin ich kein Streetworker, Arzt oder Pfarrer. Aber ich kann als Designer durch Ästhetik eine Gruppe von Menschen begeistern, die durch den Kauf eines 1C1Y-Pieces die Arbeit von ARTHELPS unterstützen [Die Stuttgarter Organisation ARTHELPS unterstützt Kinder und Jugendliche in Krisenregionen mit eigens entwickelten Kreativworkshops, Anm. d. Red.]. Unsere Kunden sollen Freude an der Stilistik und Qualität unserer Designs haben. Diese weitere Ebene macht einen großen Unterschied und verbindet meine Kollegen und mich in einer ganz besonderen Intensität.

Label-Gründer und Head of Design: Bernd Keller. - 1C1Y


FNW: Was macht für Sie die Essenz der Brand aus? 

BK: 1C1Y ist Social Fashion. Wir bringen Spaß an Mode mit ehrlichem Engagement zusammen. 

FNW: Woher kam Ihre Inspiration für die Designs der ersten Kollektion? 

BK: Für mich beginnt alles beim Endkonsumenten. Bevor ich Garne und Stoffe entwickele, muss ich wissen, wie unsere Kunden aussehen, was ihnen gefällt, wie sie leben und welche Werte sie haben. Die erste FW22 Kollektion von 1C1Y begann mit der 90's Street Skate Culture. Viele unserer Zielkunden haben diese Zeit erlebt oder erleben sie im Moment. Vintage wird somit nicht ungefiltert auferlegt, sondern in neuer Perspektive übersetzt. Im Fall von 1C1Y mit luxuriösen Materialien und neuen Proportionen. 

FNW: Haben Sie einen persönlichen Design-Favoriten aus dieser Kollektion? 

BK: Aber ja, ich kann mein Lieblingsoutfit gerne erklären: Unser Skater Knit W1ad in Responsible Merino, Straight Leg Pants, Oversized Jacket (Andr1y & M1kyta) und der 1C1Y Beanie. 

FNW: Was erwartet uns in Spring/Summer 23? 

BK: Die Spring/Summer 23 Kollektion steht unter dem Namen "Workers of Hope". Dahinter stehen Workwear Elemente und Destroyed Details, die auf urbane und junge Eleganz treffen. Overalls und Anoraks werden kombiniert zu Bermudas und Tapered Pants. Die Tonalität bleibt neutral. So steht neben Schwarz und Ivory eine warme Palette von Tobacco und Sand im Vordergrund. Besondere Farbakzente werden bewusst mit Red Sun über ikonische Strickteile gesetzt.

Look aus der Workwear-Kollektion für Frühjahr/Sommer 2023. - Thomas Mandl


FNW: 1C1Y fördert durch die Zusammenarbeit mit ARTHELPS Kinder auf kreative Weise - was wollten Sie als Kind werden? War Designer eine Art Lebenstraum?

BK: Ich hatte schon immer ein Auge für Ästhetik. An dem Geburtstag meiner Mutter musste auch schon mal die Gardine darunter leiden. Als Vierjähriger habe ich mir die Schere geschnappt und durch einen kleinen Schnitt in den Vorhängen Blumen eingesteckt. Ich fand das schön. Später wollte ich Schauspieler, Pfarrer oder Designer werden. Auch mit 56 Jahren sehe ich das Kind in mir und habe immer noch Lust auf Bühne und Mission. Wer weiß.

FNW: Welche Station in Ihrem persönlichen Werdegang haben Sie am meisten geprägt?

BK: Ich könnte die beruflichen Highlights nennen, die ich ehrlicherweise auch sehr genieße. Wenn ich aber nach meinem persönlichen Werdegang gefragt werde, antworte ich auch persönlich. Es war der Moment des Misserfolges. Ich musste mit einer eigenen Marke Insolvenz anmelden und dabei erfahren, dass meine eigene Kraft Grenzen hat. Ich habe gelernt, Gott zu vertrauen. 

FNW: Wie wichtig sind Transparenz und Glaubwürdigkeit?

BK: Immer wieder treffe ich Menschen, die ich überraschender Weise in neuer Position wiedersehe. Titel, Businesskarten und Marken wechseln. Was jedoch bleibt sind die Beziehungen. Mir geht es nicht nur um das zu erreichende Ziel. Wichtiger ist für mich das Miteinander und wie wir leben. Ich möchte glaubwürdig und transparent agieren - ob als Designassistent oder Vorstand. 

FNW: Wo sehen Sie 1C1Y in 5 Jahren? 

BK: Unseren Erfolg mit 1C1Y bemesse ich nicht nur an zufriedenen Kunden, sondern in der Möglichkeit immer mehr Kinder in Krisengebieten betreuen zu dürfen.

Lookbook-Motiv der HW-Kollektion für 2022/23 von 1C1Y. - Eileen Jordan


FNW: Welche Events, Kooperationen und andere Highlights planen Sie mit 1C1Y für 2023/24? 

BK: Kooperationen sind im Moment noch keine geplant. Unser Wunsch ist, dass diese organisch wachsen und es ist uns wichtig, dass auch die Philosophie hinter der Mode übereinstimmt. An Events ist noch nichts Konkretes geplant, aber wir würden gerne mehr Projekte mit unseren Botschaftern und ARTHELPS zusammen machen und auch unsere Kunden weiterhin persönlich mit unserem Team bekanntmachen, um eine persönliche Kundenbeziehung zu fördern.


FNW: Herr Keller, vielen Dank für das ausführliche Gespräch. 
 

Copyright © 2024 FashionNetwork.com Alle Rechte vorbehalten.