Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
14.10.2019
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Bruno Pavlovsky (Chanel): Alles über den Métiers-d’Art-Hauptsitz 19M

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
14.10.2019

So ruhig und emsig wie bei Chanel geht es nur bei wenigen Luxusmarken zu und her. Das Haus kaufte in einem strategischen Schritt Anteile an drei neuen Firmen und enthüllte vergangene Woche die Struktur seines neuen Exzellenzzentrums für kunsthandwerkliche Berufe, 19M.


Bruno Pavlovsky


Im neuen Gebäude werden die verschiedenen "Métiers d’Art" (z. Dt.: Kunstgewerbe) des weitläufigen französischen Konzerns zusammengefasst. Es handelt sich um hoch qualifizierte Kunsthandwerker, die Chanel und so gut wie alle wichtigen Haute Couture-Häuser der Welt mit einzigartigen kunsthandwerklichen Produkten bedienen.

19M ist eines mehrerer langfristiger Projekte des Konzerns. Hier finden auf 25.000 Quadratmetern 600 Angestellte zusammen. Ende 2018 beschäftigte Chanel mit über 25.000 Personen fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Laut dem jüngsten Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2018 (Stichtag: 31. Dezember 2018) erzielte Chanel mit USD 2,998 Milliarden (EUR 2,72 Mrd.) 8 Prozent mehr Gewinn als im Vorjahr. Der Umsatz stieg um 10,5 Prozent auf USD 11,1 Milliarden (EUR 10,1 Mrd.). Die Kapitalinvestitionen für das betreffende Jahr, einschließlich 19M, betrugen über USD 1 Milliarden (EUR 900 Mio.), das entspricht ganzen 9,1 Prozent des Umsatzes.
 
Im laufenden Jahr übernahm Chanel darüber hinaus einen 40-Prozent-Anteil am italienischen Lederwarenhersteller Renato Corti, der über Produktionsanlagen in Florenz und Mailand verfügt. Weiter erwarb das Luxushaus eine Beteiligung von 40 Prozent am italienischen Taschenhersteller Mabi. Und schließlich übernahm Chanel das französische Label Grandis, das über 12 Lederproduktionsstätten verfügt.

FashionNetwork.com verabredete sich mit dem Präsidenten von Chanel Fashion und Chanel SAS, Bruno Pavlovsky, für ein ausführliches Gespräch über seine Pläne für 19M und seine Vision für die weitere Entwicklung des Konzerns.


Eine künstlerische Darstellung des zukünftigen 19M-Gebäudes- Photo: Chanel - DR


FashionNetwork.com: Was war der Grundgedanke hinter 19M?
Bruno Pavlovsky: Ziel ist es, 11 der 31 Fachmarken des Konzerns an einem Ort zu versammeln. Die verbleibenden 20 Unternehmen sind nicht in Paris angesiedelt, sondern anderswo in Frankreich, in Italien, Spanien und Schottland – wie beispielsweise Barrie. Die 11 Marken von 19M stehen im Herzen der Tätigkeit von Chanel. Bislang mussten einige mit beengten Platzverhältnissen auskommen, so in Pantin und Aubervilliers, wo sie an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. Deshalb mussten wir uns etwas anderes überlegen. Es ist für uns wirklich wichtig, dass wir der Geschichte dieses Kunstgewerbes hier in Paris im 19M-Gebäude Gestalt verleihen können. Die 11 Marken beliefern 35 internationale Label, 19 davon sind Mitglieder der Fédération de la Haute Couture et de la Mode (der französische Branchenverband für Haute Couture und Mode). Stellen Sie sich nur einmal vor, welche Bedeutung dieses Miteinander entfalten kann. Alle diese Akteure, die sich hier treffen und austauschen – und in fünf Jahren sind es hoffentlich noch mehr. 19M muss zu einem Knotenpunkt der kreativen Schöpfung in Paris werden.

FNW: Wieso haben Sie sich für den Architekten Rudy Ricciotti entschieden?
BP: Weil er das verrückteste Projekt vorlegte, das authentischste, in dem er das Gebäude mit riesigen gewebeähnliche Betonfäden einhüllte. Er begab sich in die Ateliers und stellte Fragen zu den verschiedenen Berufen, erst dann präsentierte er seinen Entwurf. Das Gebäude wird 27 Meter hoch, mit einer deutlichen Kennzeichnung des Übergangs zwischen der Straße und der Fassade, und dennoch bleibt es sehr offen. Diese Handwerke verdienen es, gesehen und gezeigt zu werden. Es ist eine Möglichkeit für uns, die Kunsthandwerker mit der Außenwelt zu verbinden und natürlich zugleich zu schützen, was geschützt werden muss. Deshalb erschien uns Rudy Ricciottis Projekt als eine gute Entsprechung der Idee eines 'offenen Hauses‘, des Austauschs, den wir für das Kunsthandwerk ermöglichen wollten.

Genau deshalb setzen wir uns parallel dazu auch für diese Berufe ein, damit sei von den anderen großen Modehäusern ebenfalls anerkannt werden. Diese Métiers sollten dieselbe Sichtbarkeit erhalten wie beispielsweise ein Fotograf bei einem Fotoshooting oder ein Friseur oder Makeup-Künstler bei einer Show. Sie tragen zur Modegeschichte von Paris bei, und auch zur Geschichte der kreativen Schöpfung in der Stadt.


Teil von Chanels "Métiers d'Art": Lemarié- Photo by Anne Combaz


FNW: Wieso haben Sie in Mabi, Corti und Grandis investiert?
BP: Da haben konvergierende Interessen eine Rolle gespielt. Es geht um die Unterstützung durch einen starken Partner, um das Weiterbestehen ihres Know-hows langfristig zu garantieren und die Zukunft mit gestärktem Ehrgeiz anzugehen. Für Chanel war es ein Wunsch, sich auf die Erfahrung und Exzellenz dieser Unternehmen zu stützen, mit denen das Haus viele Jahre lang zusammengearbeitet hat und die dieselbe Vision verfolgen. In Übereinstimmung mit der Chanel-Strategie werden Mabi, Corti und Grandis ihre Zusammenarbeit mit all ihren Kunden fortsetzen.

FNW: Sie erwähnten Pläne für Ausstellungen hier im 19M-Gebäude. Woran dachten Sie dabei genau?
BP: Wir erhalten viele Anfragen von Schulen und Verbänden. Deshalb möchten wir Ausstellungen organisieren und Projekte ausarbeiten, und hier haben wir den dafür erforderlichen Platz. Ein Ausstellungsraum, der einen Austausch schafft, zwischen dem Kunstgewerbe, das Inspiration bietet, und der Stadt darum herum. Für mich muss der Luxus von morgen "gut für die Stadt", also in der Stadt von morgen gut verankert sein. Wissen Sie, seit wir dieses Projekt angekündigt haben, sind schon unzählige Anfragen eingegangen: Ich bin sicher, dass wir einen einzigartigen und außergewöhnlichen Ort des Austauschs erschaffen können, wie es ihn noch nirgends in der Welt gibt. Es gibt kein Pendant zur kunsthandwerklichen Tradition, wie wir sie hier haben.

FNW: Vom Zentrum von Paris sind wir hier weit entfernt, wie auch von der Welt des Luxus. Auf der anderen Seite des Platzes sind unter einer Straßenüberführung unzählige Zelte voller Immigranten. Wieso wollten Sie hierhin? Winkten Steuervorteile?
BP: Nein, da gab es nichts dergleichen. Wir sind seit 2011 im nahegelegenen Pantin. Wir haben auch Teams in einer ehemaligen Streichholzfabrik in 15 Minuten Entfernung, da arbeiten mindestens 60 Angestellte. Deshalb ist es für uns keine "neue Umgebung", sondern eine, an die wir gewohnt sind. Was interessant ist, ist die Nähe zu all den Infrastrukturbauten für die Olympischen Spiele und zu Paris. Mit der U-Bahn sind es nur etwa 20 Minuten bis zu unserem historischen Firmensitz. Wir sind zur Hälfte in Paris und zur Hälfte in Aubervilliers. Wir haben auch andere Möglichkeiten untersucht, aber dieser Ort passt für uns perfekt. Und wir haben nicht von irgendwelchen steuerlichen Vorteilen oder einer Steuerbefreiung profitiert.


Teil von Chanels "Métiers d'Art": Goossens- Photos by Anne Combaz


FNW: "Métiers d'Art" ist Französisch und absolut einzigartig. Ich nehme an, Sie wollen alle Berufe in einem wunderschönen Gebäude zusammenbringen, um die Kraft dieses außergewöhnlichen Know-hows besser zur Geltung zu bringen?
BP: Ich denke, dass diese Berufe sichtbar sein müssen, wenn wir in den kommenden 20 Jahren noch existieren wollen. Die Menschen müssen ihren Beitrag anerkennen, müssen sie besuchen können. Für mich ist diese Anerkennung ein sehr wichtiger Aspekt der Wertschätzung ihres Beitrags. Natürlich müssen wir die Kreativität einer Marke betonen, wie auch die wundervolle Arbeit bei den Schauen. Doch hinter den Kulissen bedarf es professioneller Kunsthandwerker, um diese Projekte umzusetzen. Ohne sie wäre all dies gar nicht möglich.

FNW: Werden Sie Kunden in die neuen Räumlichkeiten einladen?
BP: Wissen Sie, wir erhalten heute fast täglich Anfragen von Besuchergruppen, insbesondere für die Lesage-Stickereischule. Deshalb versuchen wir, eine Verbindung zu schaffen, und uns nicht abzuschotten, sei es nun in Bezug auf Schulen oder Kunden. Ich bin überzeugt, dass diese Verbindung für die Entwicklung unseres Kunstgewerbes unabdingbar ist. So können wir Berufungen ermöglichen. Heute stellen wir jährlich 80 Personen ein – das hört sich nach wenig an, aber die Schulung dieser Personen ist eine wahre Herausforderung. Wir wollen sie an einen Ort bringen, der ihres Gewerbes würdig ist, und in dem das Know-how angesiedelt ist.

Wissen Sie, die Person, die sich in der Gemeinde mit Digitalem befasst, erklärte, dass die Erwartungen der jungen Generation riesig sind. So müssen wir die Modeberufe umdenken und uns neue Wege überlegen. Wir werden unser Bestes tun, auch wenn wir dabei die Welt nicht verändern wollen.



Teil von Chanels "Métiers d'Art": Montex- Photo by Anne Combaz


FNW: Wie viel hat der Bau des neuen Gebäudes gekostet?
BP: Bei Chanel sprechen wir nicht über Geld. Wir investieren, wenn es sich lohnt und wenn ein Projekt zur Weiterentwicklung des Know-hows beiträgt. Ja, die Investition für ein Gebäude dieser Größe ist hoch, und dank Chanel konnte sie getätigt werden.

FNW: Sie erwähnten, dass im 19M-Gebäude rund 600 Personen arbeiten werden. Handelt es sich dabei um neue oder um bestehende Stellen?
BP: Wir stellen heute unter Berücksichtigung von Pensionierungen usw. für die 10 Ateliers rund 80 Personen pro Jahr ein. Für alle 30 Häuser zusammengenommen sind es ca. 300 Neueinstellungen pro Jahr.

FNW: Woran sollen sich die Besucher nach Abschluss der Bauarbeiten erinnern?
BP: Ich denke, sie müssen den Raum als Herzstück der Schöpfung empfinden können. Hier nehmen die Produkte Form an. Das ist die Verbindung zwischen den Ateliers und den Studios. Genau das möchten wir ihnen zeigen und nur das. Einen Ort in Paris zu haben, der diese handwerkliche Arbeit verkörpert, ist sehr wichtig.

FNW: Ebnet das neue Gebäude auch den Weg für die Entwicklung innovativer Strukturen mit modernsten Tools oder Forschungslabors?
BP: Die Zukunft wird eine Mischung aus dem, was wir heute tun und neuen Technologien. Welche das sind, weiß ich noch nicht. Im Bereich Stickereien, Knöpfe und Edelsteine arbeiten wir bereits stark mit der 3D-Technologie. Vor fünf Jahren hätten wir dies kaum für möglich gehalten. Wir versuchen, diese Berufe langsam weiterzuentwickeln, um das altüberlieferte Know-how mit dem Beitrag neuer Technologien zu kombinieren. Aber wir erfinden keine neuen Stoffe: Leder ist und bleibt Leder.
 

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