Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
19.03.2019
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Chinesische Textilindustrie auf dem Weg zur Nachhaltigkeit

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
19.03.2019

Lange war das Streben nach Nachhaltigkeit in der Modebranche ein Anliegen der westlichen Welt. Nun, da China im vergangenen Jahr zum weltgrößten Bekleidungsmarkt geworden ist, entwickeln auch die Konsumenten im Reich der Mitte neue Erwartungen für nachhaltige Mode. Davon zeugen die Messen Intertextile, Yarn Expo und Chic, die vom 12. bis 14. März in Shanghai stattfinden.


Die nachhaltige Entwicklung stößt bei chinesischen Auftraggebern auf wachsendes Interesse - Matthieu Guinebault/FashionNetwork


In der chinesischen Textil- und Bekleidungsbranche blieb die Ankündigung des ersten Sustainable Innovation Award von Kering Greater China und des Plug and Play Acceleration Networks nicht unbemerkt. Die ehemalige "Fabrik der Welt" verzeichnet seit zehn Jahren steigende Löhne, die in weiten Teilen der Industrie für eine Umstellung auf höhere Marktsegmente sorgten. Zugleich wurden zahlreiche regionale Marken gegründet, um auf die rasant expandierende chinesische Nachfrage einzugehen. Die Industrie sieht sich auf einmal direkt den Erwartungen der Endkunden gegenüber, die immer genauer auf die Aspekte Umweltverschmutzung und Gesundheit achten. Diese Entwicklung schlägt sich nun auch in der Tätigkeit der Garn- und Stoffproduzenten nieder.

"Das Interesse der chinesischen Marken an Sourcing-Alternativen ist im vergangenen Jahr stark gestiegen", erklärt Frau Yolanda, Marketingchefin beim chinesischen Stoffproduzenten Huafu. Dieser beliefert unter anderem Gap, Nike, American Eagle, Adidas, H&M, Zara und Uniqlo mit rezyklierten und nachhaltig eingefärbten Stoffen. "Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten war bislang auf Europa, Nordamerika und Japan konzentriert. Doch der chinesische Markt versteht langsam, dass er sich in diese Richtung entwickeln muss. Chinesische Unternehmen machen die Hälfte unserer Kunden aus. Doch für uns besteht kein Zweifel, dass China schnell zu einem zentralen Markt für alle nachhaltigen Textil- und Bekleidungsangebote aufsteigen wird. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der zunehmenden Sensibilisierung auf diese Anliegen in der Region".

Ein wachsendes nachhaltiges Angebot

In den Gängen der Intertextile und der Yarn Expo tauchen immer mehr auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Maßnahmen auf. Das Unternehmen Lily Textile entwickelte über das Projekt Green Defense einen leicht zu rezyklierenden antibakteriellen Polyester-Stoff, der die natürlichen Wirkstoffe von Mandeln und Zimt nutzt. Zu den Kunden von Hua Mao Nano-Tech zählen unter anderem Nike, Lee und Amer. Das Unternehmen verwendet Basalt, um das Wärmevermögen von Stoffen zu erhöhen und diese dennoch rezyklierbar zu machen. Denselben Weg schlug auch die Firma Nano Mintex aus Hongkong ein, die ihr antibakterielles Sortiment weiterentwickelte. Im gemeinsamen Pavillon EcoCosy präsentieren Zhonghuitex, Mingchen Textile, Heltin Textile und SF Fiber einen neuen Viskose-Stoff, der als nachhaltig angepriesen wird.


Nachhaltige Stoffe nehmen an der Intertextile einen größeren Platz ein - Matthieu Guinebault/FashionNetwork


Die in diesem Segment positionierten ausländischen Produzenten, haben das Potenzial des chinesischen Markts erkannt. So bietet das japanische Unternehmen Asahi Kasein eine aus biologisch abbaubarer Baumwolle entwickelte Faser, und die ebenfalls aus Japan stammende Firma Toyoshima verwendet Nahrungsabfälle als Farbstoffgrundlage. Ergänzt wird das Angebot durch rezyklierten Polyester und wasserfreie Färbemittel vom emiratischen Unternehmen Paradise Textile, dessen Biofuze-Polyester zu 72 Prozent biologisch abbaubar ist. Weiteres Zeichen dieser Entwicklung: An der Intertextile nehmen immer mehr Stoffzertifizierungsstellen teil, darunter Hohenstein Textile Testing, Testex, Intertex Testing Services, SGS-CSTC Standards Technical Services und der TÜV Rheinland.

Dieses Nachhaltigkeitsstreben der chinesischen Stoff- und Textilbranche wurde auch an der Yarn Expo deutlich. Der französische Leinengarnproduzent Safilin nahm zum zweiten Mal an der Messe teil. Für Hervé Denoyelle, Leiter Entwicklung des Unternehmens, hat sich der chinesische Binnenmarkt im Jahr 2017 mit dem aufkommenden Interesse für nachhaltige und hochwertige Produktionen geöffnet. "Wir nutzen diesen umweltfreundlichen Trend, der zu einer grundsätzlichen Tendenz geworden ist", erklärt er. "Unser Vorteil ist es, dass wir natürlich umweltfreundlich sind, wo dies bei der Baumwolle nicht unbedingt der Fall ist. Wir bleiben vorsichtig, aber vor uns öffnet sich ganz klar ein riesiger neuer Markt. Besonders, wenn man bedenkt, dass die Importzölle in China 6 Prozent betragen, wo es in Indien 22 Prozent sind".

Die Millennials im Visier

Diese langsame Entwicklung der chinesischen Stoff- und Bekleidungsindustrie in Richtung mehr Nachhaltigkeit ist eng mit der Ankunft der chinesischen Millennials auf dem Markt verbunden. Diese sind noch viel mehr als Gleichaltrige in westlichen Ländern zu Referenzkunden geworden, mit denen die chinesischen Marken Schritt halten wollen. Es handelt sich jedoch um Kunden, die den Verkaufsversprechen der Unternehmen besonders misstrauisch gegenüberstehen. Hier schaffen auch die über 300 umweltfreundlichen Labels in der Bekleidungsbranche keine Abhilfe.


Chen Dapeng, Präsident der China National Garment Association (CNGA) - Matthieu Guinebault/FashionNetwork


Dennoch ist die Erwartungshaltung in diesem Bereich sehr hoch, so Linda Wegelin, Leiterin Entwicklung der Zertifizierungsstelle Testex, die insbesondere für das Oekotex-Label arbeitet. "Die chinesischen Millennial-Kunden sind sich der Umweltfragen bewusster und fühlen sich davon stärker betroffen als in anderen Ländern", betont sie. Sie stützt sich dabei auf eine Studie, in der 37 Prozent der Millennials angaben, die Umwelt-Angaben auf den Etiketten zu prüfen. "Und sie haben in der Kaufentscheidung eine sehr einflussreiche Stellung. Die chinesische Industrie entwickelt sich in diese Richtung und wird darin, wenn ich das richtig sehe, vom Fünfjahresplan bekräftigt, der die nachhaltige Entwicklung umfasst. Dass die Chinesen für diese Fragen empfänglich sind, hängt damit zusammen, dass die Verbraucher besonders in den Großstädten die negativen Auswirkungen mit dem Smog hautnah zu spüren bekommen. Das ist für sie keine bloße Theorie, sie haben die Verschmutzung selbst erlebt. In anderen Ländern ist der Beweggrund ein anderer, es geht vor allem darum, ein gutes Gefühl zu haben".

Doch ähnlich wie auch die Entwicklung der nachhaltigen Mode in der westlichen Welt gibt es in China eine Verzögerung zwischen den Erwartungen der Kunden und der Produktionsrealität. An der Chic, deren Angebot Mode und Bekleidungsindustrie umfasst, gibt es nur wenige Marken, die ihre Nachhaltigkeitsbestreben in den Vordergrund rücken. An den Ständen der Messe für Bekleidungsproduktion geben die Aussteller zu, dass die Kosten zum jetzigen Zeitpunkt ein wichtiger Faktor bei der Wahl der Anbieter sind, wobei sowohl Endkunden als auch Auftraggeber auf das Budget achten. "Wenn es wichtig wird, sich von den anderen abzugrenzen, werden viele Unternehmen auf Nachhaltigkeit setzen. Und das kann schnell gehen, denn der Konsum in China lässt nach", erklärt ein Hersteller, dessen Angebot auf regionale Unternehmen ausgerichtet ist.


Show chinesischer Marken an der Chic in Shanghai - Matthieu Guinebault/FashionNetwork


Für Chen Dapeng, Präsident der China National Garment Association (CNGA), die die Chic mitorganisiert, ist Umweltfreundlichkeit eine der drei großen Herausforderungen für die Branche. Daneben gilt es, Qualität und Kreativität zu verbessern und die Produktionsmittel zu automatisieren. Für ihn steht fest, dass die technologische Innovation die Entwicklung zu einer grüneren Mode mitbestimmt. "Wir sollten nur natürliche Produkte verwenden, doch wissen wir, dass es nicht genug davon hat, um die Nachfrage zu decken", erklärt er. "Einerseits müssen die Kunden somit an diese natürlichen Materialien herangeführt werden, aber parallel dazu müssen wir über die Technologie einen Weg finden, die anderen Materialien weniger umweltschädlich zu gestalten. Das braucht Zeit. Und die schiere Größe unserer Branche könnte diese Entwicklung noch in die Länge ziehen. Aber es ist nicht nur eine nationale Frage: Die ganze Textilwelt ist davon betroffen". Eine Herausforderung, die zwar tatsächlich global ist, aber deren erste Kämpfe höchstwahrscheinlich im Herzen der größten Textilbranche der Welt ausgetragen werden.
 

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