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Felicia Enderes
Veröffentlicht am
19.10.2022
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Das Metaversum – neues Eldorado für Mode- und Luxusmarken oder nur Illusion?

Übersetzt von
Felicia Enderes
Veröffentlicht am
19.10.2022

Lohnt sich der Schritt ins Metaversum oder nicht? Diese Frage beschäftigt die Luxusmarken und -häuser seit einiger Zeit. Während einige wie Gucci oder Philipp Plein immer mehr Projekte in diesem neuen virtuellen Raum in Angriff nehmen, sind andere eher zurückhaltend. Welche Strategie ist zu befolgen, wie sieht die Erwartungshaltung aus? Welche Bedenken bestehen angesichts dieser neuen Welt, die sich abzeichnet? Dies sind einige der Fragen, die die Redner bei den von der Fédération de la Haute Couture et de la Mode (FHCM) organisierten Diskussionen zu diesem Thema im Rahmen der Rencontres Internationales de la Mode, die jedes Jahr in der Villa Noailles während des Hyères-Festivals stattfinden, zu beantworten versuchten.
 

Verpixelte Mode bei Loewe für Frühjahr/Sommer 2023 - © PixelFormula


Im Gegensatz zum Aufstieg des Internets, dem die Luxusgüterindustrie skeptisch gegenüberstand, hat sich die Haltung der Branche gegenüber der virtuellen Welt, für die sie ein echtes Interesse hegt, radikal geändert.

"Früher war das Metaversum für mich wie ein Laufsteg ohne Zuschauer. Jetzt ist das nicht mehr der Fall. Es hat sich innerhalb von sechs Monaten von etwas Beiläufigem zu einem echten Trend entwickelt. Als wir zum ersten Mal die Auswirkung von NFTs gemessen haben, war sie lächerlich gering. In den letzten Monaten hat sich deren Einfluss um mehr als das 10.000-fache erhöht, was noch nie zuvor passiert ist", stellt Michael Jaïs, CEO und Mitbegründer von Launchmetrics, fest. "Was am besten funktioniert, ist der hybride Launch eines realen Produkts in Verbindung mit seinem NFT. Ebenso ist jedes Mal, wenn es um Skins – virtuelle Looks für Avatare – geht die Wirkung enorm. Das Teilen von Inhalten funktioniert hingegen nicht sehr gut, da die vorhandenen Technologien noch nicht auf dem neuesten Stand sind".

Tatsächlich steckt diese Welt noch in den Kinderschuhen, wie Grégory Boutté, Digital- und Kundendirektor bei Kering, der 200 Personen im Kering Innovation Lab leitet, feststellt. "Wir befinden uns in einer Transformation, die gerade mal ein oder zwei Jahre alt ist. Das wird 25 bis 30 Jahre dauern, also eine Generation. Die Anwendungsfälle werden sich im Laufe der Zeit herausstellen". Der Luxusgüterkonzern hat beschlossen, das Metaversum aus verschiedenen Richtungen anzugehen, wobei er eine Logik des "Testens und Lernens" einer Strategie des "Abwartens" vorzieht. Einige seiner Marken experimentieren mit neuen Ideen, wie Gucci, das eine NFT-Kollektion auf den Markt gebracht und eine Reihe von Projekten gestartet hat.
 
Gleichzeitig hat sich die Gruppe mit Start-ups zusammengetan, um das Risiko zu verringern. So investierte sie beispielsweise über Kering Ventures in Haun Ventures, den von Katie Haun gegründeten Investmentfonds für Kryptowährungen. "Innovation ist der Schlüssel für unsere Branche und für die Art und Weise, wie wir unser Geschäft führen. Das Metaverse ist eine Chance", sagte Boutté, der auch Gemeinsamkeiten mit dem Luxussektor hervorhob, wie etwa "das Gefühl von Rarität, das man mit NFTs erzeugen kann".
 
Zu den weiteren Chancen, die sich durch das Web.3 ergeben, gehört auch die direktere Beziehung, die zu den Verbrauchern aufgebaut wird. "Im Metaversum ist die Beziehung zum Kunden eine völlig andere. Man kann mit ihm interagieren, indem man ihn auf sehr emotionale Weise berührt. Voraussetzung ist, dass man ihm nicht nur eine Nachbildung dessen anbietet, was in der realen Welt existiert. Im Gegenteil, man muss das anbieten, was normalerweise nicht zugänglich ist, und zwar durch unterschiedliche Sinneseindrücke", sagt Arnaud Guggenbuhl, Marketing-, Insight- und Imagedirektor des Parfümeurs Givaudan.

"Durch die Nutzung der Synästhesie, indem wir einen Duft mit einer Farbe, einem Bild oder einem Ton assoziieren, können wir nun ein olfaktorisches Gefühl auslösen. Die Technologien ermöglichen es auch, über Augmented Reality mehr Inhalte zu vermitteln oder den Parfümeur durch die Schaffung von Hologrammen zu entmaterialisieren", erläutert er im Detail.


Die von Balenciaga für Fortnite entworfenen Looks - Kering


"Es ist absolut unerlässlich, innovativ zu sein. Wenn man sich darauf beschränkt, nur zu duplizieren, wird man scheitern", sagt Jonathan Belolo, Mitbegründer von Stage 11, einem Start-up-Unternehmen, das sich auf immersive Musikerlebnisse spezialisiert hat. "Das Web.3 bietet einen unendlichen Raum der Möglichkeiten, ähnlich wie das Kino in seinen Anfängen. Die Realität, die sich dahinter verbirgt, ist spannend. Wir haben es mit etwas Neuem zu tun, bei dem der Zuschauer zum Mitschöpfer der Geschichte wird, die wir erzählen". In diesem Zusammenhang sei Kreativität mehr denn je gefragt. "Künstliche Intelligenz (KI) kann die Kreativität nicht ersetzen".
 
"KI ist nur in der Lage, bereits vorhandene Inhalte mit bestimmten Tools neu zu mischen. Die Rolle der Designer, die in der Lage sind, neue Stile zu entwickeln, wird nicht ersetzt werden", so Raphaël Mayol, Kreativdirektor und Mitbegründer von Cosmic Shelter Studio, einem Kreativzentrum und einer Web3-Agentur, die aus dem LVMH-Start-up-Inkubator hervorgegangen ist. Cosmic Shelter Studio brachte kürzlich in Zusammenarbeit mit EgonLab eine der bislang originellsten Initiativen in diesem Bereich auf den Weg. Für die Herbst/Winter-Kollektion 2022/23 präsentierte das französische Label neben einer Runway-Show eine Reihe von NFTs und ein virtuelles Projekt.

"Wir haben eine vollständige Erzählung rund um die Kollektion von [EgonLab] entwickelt und nach einer immersiven Welt gesucht, die das Label am besten repräsentiert. Eine experimentelle Blase, ein 'Mikroversum', eine immersive Website, die wie ein Metaversum gestaltet, aber zugänglicher ist, mit leichten 3D-Erlebnisgrafiken und NFTs, die es den Nutzern ermöglichen, mit einem Klick auf die klassischen E-Commerce-Funktionen zuzugreifen", sagte Mayol und betonte: "Jedes Erlebnis, das wir schaffen, muss Emotionen wecken."
 
Viele hoben auch die Vorteile in Bezug auf die Auswirkungen auf den Planeten hervor, wie z. B. der 3D-Designer Jean Jauhliac: "Wir können immer noch von Hand zeichnen, aber die 3D-Software bietet ein neues Werkzeug, das es uns ermöglicht, neue Formen zu finden, an Archivmodellen zu arbeiten, um sie umzugestalten, verschiedene Stoffe, Farben usw. auszuprobieren, es ist eine effizientere Art, ohne Abfall zu produzieren. Man kann die verschiedenen Materialien genauer betrachten, ihren Faltenwurf. Das hat zur Folge, dass wir weniger Prototypen herstellen."


Diskussionsteilnehmer bei den "Rencontres Internationales de la Mode" in Hyères - FHCM


Diese Fortschritte müssen jedoch im Zusammenhang mit den enormen Auswirkungen dieser avantgardistischen Technologien auf die Umwelt gesehen werden. "Das Aufkommen eines permanenten immersiven 3D-Internet in Echtzeit hat einen doppelten ökologischen Fußabdruck. Den energetischen, mit dem Bedarf, der durch die exponentielle Zunahme der Rechenleistung der Computer entsteht, die um das 1.000-fache steigen wird, und den materiellen, mit der geplanten Obsoleszenz des Zubehörs, das notwendig ist, um in dieser virtuellen Welt zu navigieren, und mit einer verstärkten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen", kritisiert Ines Leonarduzzi, Präsidentin und Gründerin der NGO Digital For The Planet.
 
Leonarduzzi verdeutlichte diese Auswirkungen auch anhand einiger Zahlen. Nach Schätzungen des Shift Project und des Green IT Collective für das Jahr 2019 sind digitale Plattformen für rund 4 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, mit einem Wachstum von 6 % pro Jahr, was bedeutet, dass sich die Auswirkungen in zehn Jahren verdoppeln werden. Ganz zu schweigen davon, dass mehr als 82 % der elektronischen Geräte weder recycelt noch gesammelt werden.
 
Vor genau einem Jahr kündigte Mark Zuckerberg seinen Wandel von Facebook zu Meta mit dem Start seines großen Metaversum-Projekts über die Plattform Horizon Worlds an. Seitdem hat er mehr als 10 Milliarden US-Dollar in das Vorhaben investiert. Die Realität dieser neuen Welt scheint jedoch noch weit entfernt zu sein. "Man muss das Ausmaß des Phänomens relativieren. Im Moment äußert sich das Metaversum in einigen Initiativen von Großkonzernen, die vor allem und in erster Linie nach Wachstumsmöglichkeiten suchen", schließt François Bourdoncle, Ingenieur und Pionier im Bereich Forschungstechnologien, der heute als Kunstfotograf tätig ist.

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