Übersetzt von
Felicia Enderes
Veröffentlicht am
30.10.2022
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Der Luxussektor angesichts einer geografischen Neuordnung der Märkte

Übersetzt von
Felicia Enderes
Veröffentlicht am
30.10.2022

Die geopolitischen Spannungen, die durch die russische Invasion in der Ukraine, die Folgen der Pandemie und die Angst vor einer bevorstehenden Rezession hervorgerufen wurden, beeinflussen auch die Luxusgüterindustrie. Während es vor einem Jahr noch nach einem Aufschwung aussah, ist die Branche heute mit chronischer Instabilität konfrontiert, die sie dazu zwingt, ihre Absatzmärkte zu überdenken und ihr geografisches Netzwerk neu zu gestalten, wie die Teilnehmer des Milano Fashion Global Summit 2022 (MFGS), der am 25. Oktober virtuell stattfand, erläuterten.


Marken setzen verstärkt auf Asien, so auch AMI, das vor kurzem eine Show in Seoul veranstaltete - AMI Paris

 
China ist weiterhin mit Ungewissheit verbunden. "Obwohl es in den letzten Monaten eine Aufhebung der Beschränkungen gegeben hat, begleitet von positiven Indikatoren, mit einem Höhepunkt der Verkäufe im Juli und August, glaube ich, dass China kurzfristig eine Bedrohung darstellen kann und auch die Schätzungen für 2023 beeinflussen wird. Nach einem zweistelligen Wachstum in den letzten beiden Jahren rechnen wir im nächsten Jahr mit einem einstelligen Zuwachs", sagte Francesca Diviccaro, Leiterin des Einzelhandels- und Luxussektors der IMI Corporate & Investment Banking Division der Bank Intesa Sanpaolo.
 
Dennoch sieht die Analystin das Land weiterhin als Chance. "Der größte Luxusmarkt im Jahr 2025 wird China sein, angetrieben durch den Wohlstand der Mittelschicht und der jüngeren Generation, aber auch durch einen Aufschwung in kleineren Städten". Diese Ansicht teilt auch Jean-Marc Duplaix, Finanzvorstand von Kering. Anlässlich der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse des Konzerns erklärte er, dass China trotz der wirtschaftlichen Verlangsamung und der Probleme im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie weiterhin über ein großes Potenzial verfüge.

Alfonso Dolce, CEO von Dolce & Gabbana, glaubt seinerseits, dass "es mindestens sechs bis achtzehn Monate dauern wird, bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist und wir ein neues China sehen, das wahrscheinlich stärker sein wird als zuvor. Dieser Aufschwung wird eine neue Wirtschaft mit anderen, noch qualitativeren Merkmalen ermöglichen, in der der Verbraucher nicht mehr ein Produkt kauft, sondern ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Lebensstil, zu einem Traum, in unserem Fall zum italienischen Traum", betonte er.
 

Wohlhabende Amerikaner zieht es zum Shoppen nach Europa



Auch in den Vereinigten Staaten, seit etwas mehr als einem Jahr das neue Eldorado der Branche, hat sich das Szenario ein wenig verändert. Während die Verkäufe von Luxusgütern in der ersten Jahreshälfte gut liefen, gab es zwischen Juli und September nur ein geringes Wachstum, da die Amerikaner lieber in Europa einkauften und vom starken Dollar profitierten. "Auch wenn sich ein Großteil der Nachfrage nach Europa verlagert hat, bleibt Nordamerika ein starker Markt, da er vom Luxussektor nicht ausreichend durchdrungen ist", so Chiara Rotelli, Executive Director, Senior Analyst für Luxusgüter bei Mediobanca.
 
"Die USA bleiben ein wichtiger Markt für die Entwicklung des Einzelhandels und bieten Wachstumschancen", fuhr sie fort. Von New York aus, wo sie sich in großer Zahl etabliert haben, wandern die Labels nun in andere Städte ab, wie die Marke Stone Island, die gerade ein Geschäft in Chicago eröffnet hat, oder Zegna in San Francisco. Auch Kering habe in dieser Region umfangreiche Neueröffnungen geplant, wie Jean-Marc Duplaix andeutete. Ihm zufolge "sind die Vereinigten Staaten und die Amerikaner in den letzten Quartalen eindeutig das Zugpferd der Branche gewesen. Es ist ein Markt, der sich für die Luxusindustrie verändert hat, der sehr vielversprechend ist und langfristig ein sehr großes Potenzial aufweist".
 

Stone Island wählte Chicago für die Einführung seines neuen Ladenkonzepts - ph Marco Cappelletti -Stone Island OMA/AMO


Darüber hinaus erleben wir die große Rückkehr Europas. "Auf geografischer Ebene, mit der Rückkehr der Touristenströme und der Erholung des lokalen Konsums, war es Europa, das den Luxusmarkt im Jahr 2022 anführte, wohingegen es im Jahr 2021 das Schlusslicht bildete", erklärte Francesca Diviccaro. "Es ist die Region, in der wir angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Lage kurzfristig die meisten Bedenken hatten", gesteht seinerseits Kerings Finanz-Chef, der sich dennoch positiv über die anhaltenden Investitionen der Gruppe in Europa äußerte.
 

"Der Nahe Osten ist das neue China" - Gildo Zegna



Neben diesen drei strategischen Märkten für die Luxusindustrie bestätigen auch andere Regionen ihr Potenzial oder zeigen interessante Zukunftschancen auf. "Es gibt Märkte, die man besonders im Auge behalten muss. Einer davon ist bereits explodiert, nämlich der gesamte Bereich der Vereinigten Arabischen Emirate und der Türkei, die von den Ausgaben der Russen profitieren", so Francesca Diviccaro. Der CEO der Zegna-Gruppe, Gildo Zegna, ging sogar so weit zu behaupten, dass "der Nahe Osten das neue China ist".
 
Aufgrund der europäischen Beschränkungen für Russland seit dem Einmarsch in die Ukraine haben die meisten Luxusgüterhersteller ihre Aktivitäten in dem Gebiet eingestellt, ihre Vermögenswerte dort allerdings behalten. Andere Marken wie Sephora und Inditex hingegen haben ihre Aktivitäten dort verkauft. Einige Regionen wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die keine Sanktionen verhängt haben, sind inzwischen für russische Milliardäre und deren Investitionen sehr attraktiv geworden. Oligarchen und Unternehmer haben in Dubai Zuflucht gefunden.

"Die Vereinigten Arabischen Emirate sind keine separaten Länder mehr, sondern bilden ein Ökosystem mit einer eigenen Wirtschaft innerhalb eines einzigen großen Territoriums", analysierte Alfonso Dolce. "Die entwickelten Märkte werden nicht mehr nur durch die Großstädte repräsentiert, sondern durch die Ausweitung der Aggregationsgebiete der Großstädte, wodurch neue Makromärkte entstehen, die sich in deren Randgebieten oder in anderen Regionen ansiedeln", fuhr er fort.
 
Francesca Diviccaro zufolge "gibt es in der Tat andere Märkte, auf denen wir interessante Wachstumsperspektiven sehen, darunter Japan, Südkorea und die Regionen Südamerikas".  Alfonso Dolce stimmte dem zu. "Es gibt neue Märkte, die sich jenseits der Hauptstädte auftun. In Brasilien zum Beispiel gibt es mindestens sieben oder acht Städte, wie Goiânia, die die neue Wirtschaft des Landes repräsentieren, die von einer bedeutenden Immobilienentwicklung angetrieben wird." Er empfiehlt daher eine aufmerksame Beobachtung dieser Städte, "in denen noch ein Verlangen nach Konsum besteht, mit einer Kundschaft, die sich erstmals an emotionalen Käufen versucht".

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