Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
14.09.2022
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Die New Yorker 'Nouvelle Vague': Peter Do, Area, Bach Mai und Who Decides War

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
14.09.2022

Frankreich verabschiedete sich am heutigen Tag vom Filmregisseur und Übervater der französischen Nouvelle Vague, Jean-Luc Godard. Obwohl wohl niemand jemals seinen kulturellen Einfluss übertreffen wird, ist eine neue Generation zur Stelle, die Kreativität mit ihrer ganz eigenen Art erforscht. Auch die Mode macht hier keine Ausnahme, und jede neue Generation bringt eine ganze Schar innovativer Designer mit sich. In New York waren es Peter Do, Beckett Fogg und Piotrek Panszczyk von Area, Bach Mai sowie Everard Best und Téla D’Amore von Who Decides War.


Peter Do



Peter Dos Show kann ohne Übertreibung als die mit der größten Spannung erwartete Show der NYFW bezeichnet werden. Der gebürtige Vietnamese wurde 2020 zum Mitgewinner des LVMH-Preises gekürt und enthüllte in New York seine erste offizielle Menswear-Kollektion (obwohl viele Männer den kontrastierenden Demi-Leg-Jeans-Look bereits übernommen haben).

Wer das Glück hatte, eine Einladung zu erhalten und diese selbst in den Händen zu halten, konnte Dos Aufstieg und das größere Budget schon anhand der hochwertigeren Einladungsqualität mitverfolgen. Die Einladungen wurden wie früher sehr aufwendig gestaltet – eine Metallbüchse mit Keksen, eine von Do zusammengestellte CD und Nähartikel. So wird die Keksdose im Nu in eine Nähbox verwandelt. Das Label profitierte dabei von einem neuen Geldzufluss vom größten Entertainmentkonzern Koreas, SM Entertainment. Dieser verwaltet unter anderem Girls' Generation, Red Velvet, NCT und Aespa.



Peter Do Frühjahr-/Sommerkollektion 2023 inNew York - Peter Do


Der Einfluss des Konzerns machte sich jedoch nicht nur in den Einladungen bemerkbar. SM organisierte auch verschiedene Acts wie Jeno von NCT, der zum Auftakt der Show defilierte. Im Backstage-Bereich erklärte Do den Journalisten, dass dies einerseits mit der Met Gala-Garderobe von Bandmitglied Johnny zu tun hatte. Darüber hinaus habe die K-Pop-Musik von SM für Do eine große Bedeutung erhalten, als er als Teenager im Alter von 14 Jahren mit seiner Familie aus Vietnam nach Philadelphia zog.

"Ich nahm Mix Discs von SM auf und hörte die Musik im Auto auf dem Weg zur Schule. Ich habe mich in die Musik geflüchtet, da ich keine besonders guten Erfahrungen machte an der High School", erklärte er. Die Verehrung, die ihm im Backstage-Bereich entgegenschlug, dürfte diese schwierigen Teenager-Jahre nun mehr als wett machen.

Der Designer erklärte den Entstehungsprozess der neuen Kollektion, in der er ein vierteiliges Anzugsdesign erforschte – ein weißes Hemd, eine Jacke, Hosen und ein Rock. Dabei prüfte er Mäntel und Jacken aus den vergangenen fünf Jahren, nahm sie auseinander und setzte sie neu zusammen, mal mit Luftlöchern im Rücken (oder an den Seitennähten einer Hose), mal mit Gürteln in Form von langen Seiden- oder Chiffonstreifen, in einer vorzüglichen Weiterentwicklung des aus dem gleichen Stoff gefertigten Gürtels.

"Er verbessert alles, was man bereits hat. Gürtel sind vielfältig und praktisch und sie ergeben einen Dialog zwischen dir und deiner Garderobe am Morgen", erklärte er weiter. "Man kann sie tragen, wie man will, wir haben einen Gurt hinzugefügt, der verstellbar ist, um ihn für verschiedene Silhouetten verwenden zu können".

Dramatische Übermäntel aus schwungvollem Satin, Maxi-Kleider und schwere Plattform-Schuhe sind Dos Antwort auf die Frage, "Was tun Peter Do-Menschen nachts?“. Die Kollektion ist zwar rein theoretisch in Herren- und Damenkleider unterteilt, doch hält Do in seinem Programmheft fest, dass er seine Entwürfe grundsätzlich für Menschen macht, Punkt.

Seine Prints stammen hauptsächlich von seinem iPhone und sind Abbild einer Verlangsamung, um einen bestimmten Zeitpunkt hervorzuheben. "Zweimal im Jahr finde ich auf meinem Telefon zwei Fotos, die mir etwas bedeuten. Das schwarz-weiße Bild ist ein Wolkenkratzer in New York, und den Sonnenuntergang habe ich vor meinem Büro aufgenommen". Nach fünf Jahren sei es ihm endlich gelungen, eine Art Türe vor seinem Büro zu installieren.

Ebenso poetisch wie die Reise zur Kollektion ist auch die Art und Weise, wie der scheu wirkende Designer, der nicht nur aus gesundheitlichen Gründen eine Maske trägt, seinen persönlichen Werdegang erzählt.

"Die Kollektion dreht sich darum, wie ich immer in Zeitnot gerate, es ist ein Hin und Her mit der Zeit, an Dingen zu arbeiten", gesteht er. "Ich habe mit meinem Hund gelernt, im hier und jetzt zu sein, denn sie schnuppert an allem, lässt sich Zeit und wenn ich versuche, sie zu hetzen, geht gar nichts mehr. Mein Hund und meine Marke haben mir viel über das Geduldigsein beigebracht".

Dos Verneigung war ein besonders berührender Moment, denn er umarmte seine Mutter, die erstmals nach drei Laufsteg-Schauen an einer Show ihres Sohnes teilnahm. "Ich fühle mit bei jedem Meilenstein danach, ihn zu feiern, denn für mich ist nichts selbstverständlich. Ich versuche, mich zu verbessern, im hier und jetzt zu sein und den Vorgang mehr zu genießen", führte er weiter aus und fügte lachend hinzu, dass er mit der Herbstkollektion 2023 bereits im Verzug sei.

Doch in jenem Moment genoss er einfach den Rummel. "Hoffentlich gilt die ganze Aufregung meinen Kleidern und nicht jemand anderem", sagte er.

Wir können ihn dahingehend beruhigen – die Gäste sind für seine Kleider angereist, und nicht für die Personen, die sie tragen.

Area



Viele zielgerichtete und hoch kreative junge Marken haben Mühe mit den Verkaufszahlen. Wie kann man ausgefallene Designs in etwas verwandeln, das Händler verkaufen können? Im besten Fall schafft es eine verwässerte Version in die Verkaufsstellen, während die ausgefallensten, verrücktesten Entwürfe für Fotoshootings, Albumcovers oder dann und wann für den roten Teppich reserviert bleiben. Die Frühjahrs-Show 2023 von Area zeigt jedoch, dass sich die beiden Aspekte nicht gegenseitig ausschließen müssen.


Area - Frühjahr/Sommer 2023 - Womenswear - New York - © PixelFormula


Im Gespräch mit Journalisten erklärte Panszczyk, dass die Vision von Area durch das Design nahtlos von der Fantasie in die Realität übergeht.

"Es sollte keine Grenze geben zwischen dem, was du verkaufst, und dem, wovon du träumst", erklärte der Designer weiter. "Wir stellen eine Verbindung her, um zu zeigen, wie diese Aspekte zusammenhängen und weshalb sie beide wichtig sind. Ich habe eine kommerzielle Kollektion nie als eine heruntergestufte Kollektion betrachtet. Besonders, da man diese Verantwortung hat, sie zu produzieren und für mich gehen wir die Kollektion so holistisch an".

Damit meinte er beispielsweise die Fülle an Schwarz, Rot, Pink und Violett (ein dezenter Verweis auf Priesterroben), die Anspielungen auf Schleifen in grafischer und übergroßer Form sowie die pyramidenförmigen Stacheln in gigantischen Proportionen, die in typischer Manier kristallbesetzt waren. Alle einzigartig und sehr tragbar – ein Zeichen an die Welt des Handels, dass das Label bereit ist.

"Ich denke, wir haben uns schon darauf konzentriert, um zu zeigen, wer wir sind und was man von uns als Marke erwarten kann", sagte er.

Die Fantasie-Elemente befanden sich jedoch auf einem anderen Niveau, man möchte fast sagen couture-ähnlich in den Feinheiten. Viele Looks waren dreidimensional und vertieften das Pyramiden-Konzept. Die letzten drei Looks waren so technisch, dass es nicht möglich war, über den äußeren Teil des Laufstegs im Hof des Frick Museums zu gehen. "Die Pyramide geht nach innen und kratzte auf den Fliesen beim Gehen, sie hätte sie zerkratzt", erklärte er.

Mehrere Looks waren mit riesigen Einhorn-Spitzen versehen, so auch ein käfigartiger Denim-Look, der durch seine Streifenelemente einen elisabethanischen Einschlag hatte. "Beim Denim begannen wir mit dieser Idee, die Mode als Fetisch aufzuladen, etwas, von dem man besessen ist, dem man sich verschreibt. Doch wollten wir etwas, das sich echter anfühlt. Der japanische Selvadge-Denim gibt die Streifen, doch die Spitzen führen zur Idee der Pyramiden und der antiken Architektur zurück. Es wurde extrem, fast wie eine Rüstung, die die Menschen fernhält und wir fragten uns, wie wir die Handwerkskunst, Gestaltung und Schönheit herüberbringen konnten", sagte er weiter.

Das ist der Marke wortlos gelungen. In dieser bezaubernden, bahnbrechenden Kollektion der Marke war alles glasklar.

Bach Mai



In seiner zweiten Show in New York erweiterte der Designer Bach Mai seine couture-ähnliche Botschaft für die Abendgarderobe und Konfektionskleidung um eine sehr persönliche Note. Im Programmheft ehrte Mai, der bei Maison Margiela als erster Assistent von John Galliano tätig war, seinen Vater, der für seine Arbeit in Ölraffinerien und Chemiewerken in Deer Park, Texas blaue Overalls trug.


Bach Mai Frühjahr-/Sommerkollektion2023 - Bach Mai


So verarbeitete Mai blauen und orangefarbenen Baumwoll-Köper zu "couture-beeinflussten Formen", beispielsweise für Ballkleider und Oversized-Hosen. Ein rauer Tweedstoff wurde zu einem Playsuit oder in Anspielung an die weiten Overalls als Borte für ein leichtes durchscheinendes Kleid verwendet.

Besonders interessant war die Trapezform von Tüll und orangefarbenen Borten auf einem hautfarbenen Lederbustier und passenden Shorts, während auffällige silberfarbene Details im Rücken eines rückenfreien Organza-Kleids mit einem Saum im Stile von Cristóbal Balenciaga an Ölflecken erinnerten. Mai liebt es, texanische Damen einzukleiden, doch diese Entwürfe passen genauso zu modernen Frauen der Park Avenue oder aus Nob Hill.

Who Decides War



Das lebhafte Duo von Who Decides War, Everard Best und Téla D’Amore, lieferte mit der Frühjahrskollektion 2023 sein Debüt. Die gezeigten Entwürfe zeugten vom handwerklichen Können und der Botschaft, mit denen die Designer auf sich aufmerksam gemacht haben. Eine Bestätigung für die treue Fangemeinde.


Who Decides War - Frühjahr/Sommer 2023- Womenswear - New York - © PixelFormula


Laut einem Instagram-Post von Best überbrachte das Duo über das karibische Thema eine Botschaft zur Dringlichkeit der Umweltsituation. Die Airbrush-Designs auf Jeans, Hemden und anderen Artikeln tauchten die Kollektion aber auch in eine kalifornische Surfer-Stimmung.

Mit Denim-Splicing machten die beiden Designer auch ihre Vorliebe für Technik deutlich, während das Glasmalerei-Motiv bei Strickwaren eingeflochten wurde. Eine gesteppte blaue Bomberjacke mit aufgenähten grünen Kontinenten bildet einen tragbaren Globus – ein Must-have für jugendliche Umweltschützer.

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