Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
28.09.2022
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Dior: Mode wie zu Zeiten Caterina de’ Medicis

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
28.09.2022

Dior lud am Dienstag zu einem barocken Moment ein. Maria Grazia Chiuri ließ sich für ihre Kollektion von der einzigen Frau inspirieren, die je Regentin Frankreichs war: Die gebürtige Italienerin Caterina de’ Medici. Dies nur wenige Tage nachdem Italien seinerseits seine erste Premierministerin an die Spitze des Landes gewählt hat.


Christian Dior - Frühjahr/Sommer 2023 - Womenswear - Paris - © PixelFormula



Es war eine modische Glanzleistung, die an die von de’ Medicis in ganz Frankreich organisierten Veranstaltungen erinnerten: Schauspiele, opulente Bälle und majestätische Märsche, durch die die Monarchie gestärkt werden sollte.

Die Kollektion wurde in einer eingeschränkten Farbpalette gehalten: Weiß, Gold und viel Schwarz. Caterina de’ Medici hatte zwar 10 Kinder und drei ihrer Söhne bestiegen den französischen Königsthron, doch war sie auch 30 Jahre lang Witwe und trug in dieser Zeit fast ausschließlich Schwarz. Das brachte ihr den Übernamen "Schwarze Königin" ein.

"Ich wollte eine Gemeinsamkeit zwischen Italien und Frankreich finden, wie ich es mit meiner Arbeit bei Dior oft tue", erklärte die gebürtige Römerin. Chiuri selbst ist die einzige Frau, die je an der kreativen Spitze des berühmten französischen Modehauses saß.

"Eine Ausstellung über Caterina regte meine Fantasie an und brachte mich dazu, ihren Einfluss in Frankreich und auf die französische Kultur zu untersuchen. Für mich war sie die erste Person, die sich der Bedeutung der Mode in ihrer Rolle bewusst war". Bei der erwähnten Ausstellung handelte es sich um eine Ausstellung in Florenz im Jahr 2008, die die zwei französischen Königinnen der Medici-Familie, Caterina de‘ Medici und Maria Stuart, gegenüberstellte.

Die daraus entstandenen Ideen ließ Chiuri in eine Prêt-à-porter-Kollektion einfließen, die in Zusammenarbeit mit mehreren Künstlern entstand. Jede/r setzte sich mit der künstlerischen Renaissance auseinander, die Caterina nach Frankreich brachte.

So arbeitete Chiuri mit der Künstlerin Eva Jospin zusammen, die aus Recycling-Karton eine dramatische Höhle mit Säulengang errichtete. Zum Soundtrack von Björk marschierten die Models um das Kunstwerk herum.


Christian Dior - Frühjahr/Sommer 2023 - Womenswear - Paris - © PixelFormula



Die Truppe von Imre und Marne van Opstal spielte in einer theatralischen Aufführung auf die Bälle an, die Caterina organisierte, um ihre Position und ihre Macht modisch zum Ausdruck zu bringen.

Doch Chiuri arbeitete mit leichteren Stoffen, so in einer halbtransparenten Guipure-Schürze, die zu einem einfachen beigen Baumwoll-T-Shirt getragen wurde. Chiuri ist auch ein Fan alter Landkarten und stöberte eine Karte aus den 50er-Jahren auf, die Paris zeigt, und in der Mitte das Hauptquartier von Dior an der Avenue Montaigne. Diese Karte wurde in einige großartige Trenchcoats, wundervolle Cutaway-Mäntel, große Overalls und eine der zahlreichen coolen leichtgewichtigen Korsagen des Labels eingearbeitet. Wie auch in Bloomers, wovon es in der Kollektion ebenfalls viele zu sehen gab. Insgesamt hätte der langen Show vielleicht eine etwas strengere Auswahl gutgetan.

Nach ihrer Ankunft am französischen Hof im Jahr 1533 wurde Caterina de‘ Medici Regentin, bis ihre Söhne das Alter für ihre jeweilige Regentschaft erreichten. Sie gab den Tuilerien-Palast in Auftrag, wo auch diese Show organisiert wurde. Bemerkenswerterweise haben nur wenige der von Caterina beauftragten Gebäude überlebt, mit Ausnahme eines Turms, der hinter der heutigen Pinault-Stiftung errichtet wurde, um die Sterne zu beobachten.  

Caterina de’ Medici wurde kurz nach ihrer Geburt Vollwaise und verbrachte mehrere Kindheitsjahre in verschiedenen Konventen, wo sie unter anderem die Kunst des Stickens lernte, die sie später am französischen Hof einführte. In vielen Looks der Kollektion sorgten so zarte Stickereien für eine feine Eleganz.

Doch Chiuris Caterina ist keine distanzierte Monarchin, majestätisch zwar, doch auch lasziv. Ihre Reifröcke sind aus durchscheinender Spitze und werden nur mit einem BH getragen, ihre Bauernröcke und riesigen Blusen mit eleganten Hippie-Rüschen besetzt. Zerknitterte Etuikleider aus Wolle steuern eine Portion Mut bei und Boudoir-Unterwäsche und Seiden-BHs zeugen mehr von einer kecken Witwe als einer trauernden Ehefrau.

Diors Regentin marschiert in punkigen Stiefel mit zahlreichen Riemen, die mit Bergsteiger-Seilen oder nietenbesetzen Plattformsohlen ausgestattet sind. Caterina war selbst eher klein und bevorzugte es, Plattformschuhe zu tragen. Und Chiuris Versionen werden bei Dior für klingende Kassen sorgen. Maria Grazias Fähigkeit, Eleganz und Kommerz, Mode und Ware zu vereinen, ist in der Modebranche bis heute unübertroffen.

Für eine Prêt-à-Porter-Show eher ungewöhnlich war die Abwesenheit von Anzügen oder gar Jacken. Doch bot Dior eine kohärente Kollektion einer Designerin, die ihr Schicksal fest im Griff hat. Eine Römerin, die Couture und Mode in Frankreich erobert hat. Ihre Landesgenossin Caterina wäre darüber sicherlich stolz gewesen.


Christian Dior - Frühjahr/Sommer 2023 - Womenswear - Paris - © PixelFormula



In dieser Saison arbeitete Dior auch mit einem bemerkenswerten Jacquard-Lieferanten zusammen: Tassinari & Chatel von Lelievre. Die 1680 gegründete Manufaktur wurde zum offiziellen Zulieferer der größten Höfe Europas, von Ludwig XV. bis Napoleon I. und stellte grandiose Werke für Marie Antoinette in Versailles her. Ironischerweise wird die Modekönigin Coco Chanel – Diors größte Rivalin – in einem ihrer berühmtesten Bilder in einem de‘ Medici-ähnlichen Look gezeigt, mit einer barocken schwarzen Tunika und einem weißen Rüschenhemd.

Die Show regte außerdem zu einer Überlegung der Macht der Mode und der Kleidung an. Dies knapp 48 Stunden, nachdem Italien zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine rechtsextreme politische Partei an die Regierungsspitze wählte – angeführt von Giorgia Meloni.

Auf die Frage von FashionNetwork.com, was sie von Meloni halte, erwiderte Chiuri: "Natürlich hat uns ihr Sieg zum Denken angeregt. Für mich hat aber weniger sie gewonnen als die Linke verloren. Ich bin noch immer verblüfft, dass nur die Rechte Frauen an der Führungsspitze hat, und die Linke nur wenige Frauen in dieser Stellung kennt. Ich persönlich glaube an gewisse Werte hinsichtlich des Rechts auf Abtreibung, der Rechte Homosexueller und des Scheidungsrechts, und ich bin sehr unglücklich, dass auf der anderen Seite des politischen Spektrums keine Frau dasteht, die den Kampf für diese Rechte führen kann. Das enttäuscht mich wirklich sehr".

Weiter wollte FashionNetwork.com von Chiuri in einem Interview vor der Show wissen, wie Meloni mit ihrer zurückhaltenden Kleidung – Jeans und einfache Wollpullover – ihre Macht zum Ausdruck bringt. "Ich denke nicht, dass sie mit ihrem Look irgendeine Strategie verfolgt … Aber ich möchte auch sagen, dass vor ihr eine ganze Generation Frauen beim Eintritt in die Politik gezwungen war, eine fast totalitäre Entscheidung zu treffen – sie mussten sich komplett einem visuellen Code unterwerfen, der rein maskulin war. Und ich würde da auch Queen Elizabeth erwähnen. Sie hatte einen Preis für die visuelle Verkörperung ihrer Rolle zu zahlen", sinnierte Chiuri.  

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