Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
07.04.2022
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Israel Fashion Week: Zwei Generationen an der trefflichen Modeschule Shenkar

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
07.04.2022

Tel Aviv ist eine Hightech-Metropole mit Strand, die sowohl an Miami, als auch an die Küste von Jersey und München erinnert. Die Stadt steht heute im Spannungsfeld zwischen zwei Generationen, während die Modeszene hart daran arbeitet, auch auf der internationalen Bühne Anerkennung zu finden.


Photo: Shenkar - DR


Die Hälfte der Designer richtet das Augenmerk klar nach Europa, besonders auf London und Paris, und entwirft elegante Abendkleidung und grandiose Kleider für besondere Anlässe. Die anderen Modeschöpfer konzentrieren sich auf die lokale Modeszene und bieten Variationen amerikanischer Luxus-Streetwear.

Tel Aviv ist auch architektonisch in zwei Teile geteilt. Auf der einen Seite ein wundervoller Bezirk, der sich der Küste entlang ausdehnt, mit den begehrten Bauhaus-Gebäuden. Diese wurden von deutschen Architekten errichtet, die den Zwischenkriegsstil nach Israel exportierten und ihn leicht anpassten. Einige Kilometer östlich im Landesinnern ist auf der anderen Seite ein boomender High-Tech-Stadtteil entstanden, mit Cyber-Gebäuden, schicken Wohntürmen und sorgfältig errichteten Museen, Theatern und Konzertsälen, die an das Lincoln Center erinnern. Diese Dichotomie zeugt von den schnellen Veränderungen in der israelischen Hauptstadt, wobei der Stil der frühen europäischen Immigranten durch einen entspannteren amerikanischen Sportswear-Ansatz abgelöst wurde.

Eine Mischung der beiden Welten war in einer fabelhaften gemeinsamen Show der Studierenden des Shenkar-College – der führenden israelischen Modeschule und Alma Mater von Alber Elbaz – zu sehen. Die Veranstaltung fand im neuralgischen Zentrum der viertägigen Israel Fashion Week, dem Hangar 11, statt. Dutzende Models gaben jeweils zu zweit Voguing-Duette, bevor sie vor 800 Zuschauern den Catwalk betraten und posierten. Nach der Enthüllung von Cyber Punk-Dandies, dekonstruierten Fantasien, Gothic-Rebellen und verwahrlost-eleganten Survivor-Looks tanzten 15 junge Designer über den Laufsteg.
 
Der Applaus war ohrenbetäubend. Und zu Recht, denn diese Show fühlte sich ebenso kreativ an wie die im Februar stattfindende Show der Absolventen der St Martins-Designschule in London, die gemeinhin als die beste Modeschule der Welt gilt.

Doch in Israel entfaltet sich der Stil-Graben nicht nur entlang der Generationsgrenzen, wie zwei Nachwuchsdesigner am Montag bewiesen.

Rotem: Sturmhöhe in Haifa


Photo: Rotem - DR


Rotem by Rotem Shaul zeigte historistische Mode, in der coole Gouvernanten auf Präriestil-Lehrer trafen. Shaul kann mit seinen Drapierungen mit den besten mithalten und seine gerüschten Baumwollkleider und Gothic-Hemden waren hinreißend. Er ist auch ein begabter Schneider, dessen Blazer und Jacken mit Anmut überzeugten. Für besondere Momente, in denen Frauen einen künstlerischen Einschlag schätzen, ist Rotem eine ideale Anlaufstelle.

Genish: Du sollst nicht schweigen


Photo: Genish - DR


Die Inspiration für Aharon Genishs Designs mag dunkel sein: Kindesmissbrauch in ultra-orthodoxen Familien, wie seiner eigenen. Daraus entstanden Kleider von beachtlichem Geschmack, gerüschte und wogende Kleider und Nachthemden, mit Bändern, Stofffetzen und riesigen Schleifen. Elegante Kleider für besondere Anlässe, mit Raffungen und viel Aplomb. Dem Designer gelang es, persönliches Leid in anmutigen Entwürfen zu verarbeiten. Und für diejenigen, denen dieses Detail entgangen ist – der Soundtrack stammte von Leonard Cohen: You Want it Darker.

Kesh: Zwischen Blechschaden und Bademode

Die Kulisse für Kesh bestand aus einer klassischen Alfa Romeo 1750-Limousine, die bereits einige Auffahrunfälle hinter sich hat. Die poppige Bademodekollektion des Designers enthielt einige bemerkenswerte Elemente. Die Marke mit Sitz in Tel Aviv wurde 2018 von Keshet Shapiro gegründet, der israelische und südafrikanische Wurzeln hat. Die Kollektion wird jedoch in Lettland hergestellt. Shapiros Besessenheit mit Extremsportarten und Hip-Hop führte zu impressionistisch bedruckten Tops für Herren und Miniröcke für Damen, Shorts mit Logodruck und tiefen Taschen und Shirts mit poppigen Monster-Bildern. Wie viele israelische Marken verfügt Kesh über einen benutzerfreundlichen Onlineshop.

Doch die bequemsten T-Shirts in Israel stammten von Torso, einem reinen Online-Händler, dessen regional produzierte Biobaumwolle sich federleicht und bequem anfühlt.

Weksler: Flüchtlinge aus einem verwahrlosten Nachtclub

Bei Weksler wurde alles auf den Kopf gestellt und durchlöchert. Die Models sahen aus, als wären sie gerade noch aus einem bombardierten Nachtclub geflohen. Männer trugen Pullover als Unterwäsche und Damen waren in T-Shirt-Kleidern mit aufgedruckten Handgranaten zu sehen. Alles mit kontrastierenden Stoffstücken zusammengenäht. Herren mit Patchwork-Gesichtsmasken, als wäre Das Ding, das Bruce Willis in Pulp Fiction trägt, zu einer Rave Party eingeladen worden.

Kurz gesagt – wer nach einem schicken Anzug sucht, um zur Bar Mitzvah seines Neffen zu gehen, ist an der Israel Fashion Week fehl am Platz.

Zu sehen gab es freche und mutige neue Visionen, besonders von Shenkar. Die Schule, die sich einige Kilometer im Landesinneren befindet, besteht aus einer Reihe heruntergekommener Gebäude, die im Inneren mit ganz viel High-Tech ausgestattet sind.

Mittendrin steht das Michal and Avraham Kadar Medialab, ein fortschrittliches Mode-Forschungszentrum mit modernster Technologie. Der raffinierte und preisgekrönte Umbau wurde von Geotectura umgesetzt. Das architektonische Konzept sah ein Medienlabor vor, das im 90-jährigen-Gebäude zu schweben scheint. Die Studierenden können mit modernsten 3D-Digitaldruckern vom israelischen Branchenführer Stratus experimentieren. In einer neuen Zusammenarbeit mit dem MIT wurde für die Studierenden beider Schulen zudem ein Inkubator für Spiele eingerichtet.


Das Kadar-Medienlabor - DR


Michal Kadar ist selbst Shenkar-Absolventin und eine begnadete Schmuckdesignerin. Die Inspiration für ihre coolen modernistischen Designs und hochwertigen Schmuckstücke ihrer Marke Cadar stammen von der levantinischen Flora und Fauna. Die Kollektion ist bei Bergdorf Goodman erhältlich.

Die Studierenden der Shenkar-Modeschule können auch Hochleistungs-Drucker von Kornit in Anspruch nehmen. Das Unternehmen, das zu den wichtigsten Sponsoren der Modewoche zählt, stellt moderne Maschinen her, und verfügt über 1300 internationale Kunden. Diese Fähigkeit, Prints persönlich zu gestalten, wurde von den Studierenden offensichtlich reichlich genutzt.


Photo: Shenkar - DR


Diejenigen Designer, die sich an Paris orientieren, zeigten formschöne Crepe-Hosenanzüge und XL-Gala-Trenchcoats mit abstraktem Pfingstrosen-Druck. Andere Studierende spielten mit Verweisen auf die Beduinen-Kultur, mit Wüstenkapuzen und Schleiern zu Strandpiraten-Jeans. Einige kreierten Dschungelprints in Mark Rothko-Farben, beispielsweise auf Safarishorts, T-Shirts und Jacken. Es gab sogar eine Yamamoto-würdige neue Version des klassischen chassidischen Gewands, aber mit Dhoti-Hosen und verstärkten Ärmeln.

Wieder andere Kreative setzten auf asiatische Avantgarde oder angelsächsische Ideen. Wie eine Märtyrerin im Leder-Korsett mit Details im Rücken, die an Craig Green erinnerten, oder gestreifte Großvater-Djellabas bzw. Hemden im Patchwork-Look. Weiter gab es stark dekonstruierte Assemblagen von Plissee-Kilts mit einer Jacke auf der einen und einer blutroten Tunika auf der anderen Seite – Sacai für Levantiner.

Seit Elbaz’ tragischem Tod im vergangenen Frühling ist in der israelischen Mode eine stillschweigende Suche nach dem neuen Wunderkind ausgebrochen. Und natürlich gehen die meisten Beobachter davon aus, dass er oder sie in Shenkar die Schulbank drückt. Ob es sich dabei jedoch um einen neuen Alber oder vielleicht eine israelische Version von Virgil Abloh handelt, wird sich zeigen.

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