Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
25.02.2019
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Milan: Das Comeback der Arbeitskleidung

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
25.02.2019

Zum Abschied ruft man sich in Mailand gerne "buon lavoro" zu, was zu Deutsch so viel wie "gute Arbeit" bedeutet. Und nach einer hektischen Woche in der italienischen Modehauptstadt bringt dieser Spruch die Stimmung und den Stil vor Ort bestens auf den Punkt.


Sportmax - Herbst/Winter 2019 - Mailand - Bild: Sportmax/ Instagram


"Mailand ist wie eine Blase in Italien. Das Land mag wirtschaftlich angeschlagen sein, doch versprüht die Stadt eine neue Energie. Marken werden wiederbelebt, neue Gebäude errichtet und neue Ideen keimen", sinniert Carlo Capasa, Präsident der italienischen Modekammer Camera della Moda.

Partybekleidung war kaum zu sehen, vorherrschend war eine feine, reine Eleganz. Das Schlüsselwort lautete "Nachhaltigkeit", in der Mode wie in der Architektur – hier beispielsweise das beeindruckende neue Wahrzeichen der Stadt: Bosco Verticale. Die aus zwei Wohngebäuden bestehende Struktur umfasst einen 120 m hohen mit Pflanzen und Blumen bedeckten Teil, der ein einzigartiges, biologisch vielfältiges Umfeld bildet.

Wichtigstes Accessoire der Saison ist die Dokumententasche für Karrierefrauen, als Gürteltasche, in Westenform oder mit Lederschal für fleißige Geschäftsreisende. Vorzüglich auf den Punkt gebracht in der frischen italienischen Sportswear von Sportmax.


Sportmax - Herbst/Winter 2019 - Womenswear - Mailand - © PixelFormula


 
Sportmax

Die junge Max Mara-Linie Sportmax – die wohl einflussreichste Brand topmodischer Damenmäntel überhaupt – überzeugte in dieser Saison mit einer fabelhaften Show.

Mit der Kollektion wurde eine neue Sonnenbrillen-Linie mit zahlreichen asymmetrischen Modellen eingeführt. Produziert wird sie vom Unternehmen Marcolin, das auch mit Tom Ford, Pucci und Zegna zusammenarbeitet. Die Kernideen waren zweiteilige Anzüge mit Bomberjacken und Westen – in einer Saison, die sich anfühlte, als wäre Partybekleidung offiziell von den Laufstegen verbannt worden – und futuristisch anmutende schiefe Röcke andererseits.

Die größte Überraschung war jedoch die Verwendung von Ledergürteln, -Schals und -Gilets – allesamt mit Reißverschlüssen versehen. Neue funktionale Kleidung mit modisch-militärischem Einschlag.

 

Jil Sander - Herbst/Winter 2019 - Womenswear - Mailand - © PixelFormula


 
Jil Sander

Die Einladung gab die Grundidee bereits Tage bevor ein Model den Laufsteg von Jil Sander betrat preis.

Ein hochwertiges Geschirrtuch aus Juteleinen – ein widerstandsfähiger, praktischer Stoff. Analog zu vielen Looks der Herbstkollektion 2019 verlief ein roter Streifen darüber. Gezeigt wurden die Entwürfe im neuen Ausstellungsgelände in einer ehemaligen Panettone-Fabrik im Norden Mailands.

Eine stilvolle Show, an der ein Cellist vor, während und nach der Show melodische Akkorde spielte und beim Auftreten des ersten Models ganz tiefe Töne anschlug. Zeitweise geriet die Konstruktionen und Schnitte etwas zu kompliziert, doch verdiente das Designerduo Luke und Lucie Meier für ihre einzigartige Vision definitiv Applaus. Keilförmig zulaufende und an den Seiten geschlitzte ärmellose Mäntel und Kleider aus Meltonwolle in Tiefschwarz oder verschiedenen Weiß-, Beige- und steinfarbenen -Tönen. Viele wurden von wunderschönen Wildvogelzeichnungen geziert. Für eine Antwort auf die lästige Frage, die sich so viele Redakteure seit Monaten stellen – wer wird die bislang Phoebe Philo treuen Celine-Kunden für sich gewinnen – muss man sich höchstwahrscheinlich an Jil Sander wenden.


Salvatore Ferragamo - Herbst/Winter 2019 - Womenswear - Mailand - © PixelFormula


Salvatore Ferragamo

Veteranentag bei Salvatore Ferragamo, der erfahrene Laufstegmodels zu einer Show und Musik aus den 80er Jahren defilieren ließ.

Vor dem musikalischen Hintergrund des Tears for Fears-Klassikers "Everybody Wants to Rule the World" hob die Kollektion mit einigen vorzüglich gefertigten Kleidungsstücken die unglaubliche Produktivität des Labels hervor.

Die Entwürfe wurden in einer nüchternen Farbpalette gehalten – von Dunkelgrau bis Waldgrün. Einleitend wurden knielange Röcke und an der Taille verengte Nadelstreifen- oder Kalbsleder-Overalls gezeigt, wie gesehen an Maggie Rizer. Rizer zählte zu dem halben Dutzend Veteranen-Models, die für die Show eingezogen wurden, wie auch Liya Kebede, Alek Wek und Kirsty Hume.

Einwandfrei geschnittene wadenlange Tartan-Röcke und kleine Taschen in ähnlichen Stoffen sorgten für großartige Looks, wie auch verschiedene Logo-Stiefel. Ellenlange Lederbahnen, nicht zuletzt zu Wildlederhosen und mit kontrastierenden Streifen versehenen Cabans verarbeitet, und ein riesiger flauschiger Mahagoni-Mantel charakterisierten die Kollektion. Der XL-Mantel verkörperte aber auch gleich eine der Schwächen der Show – die Silhouetten hätten wohl einen Hauch eleganter sein können.

Die Co-ed-Kollektion war die erste von Paul Andrew als globaler Kreativdirektor des Modehauses. Der zuvorkommende Amerikaner verneigte sich großzügig an der Seite von Guillaume Meilland, der Ferragamo als Menswear-Designer treu bleibt und Paul Andrew als Studio-Direktor unterstützt.

 

Visual der Borsalino-Kampagne - Bild: Borsalino


 
Borsalino

Seit bei Borsalino mit Giacomo Santucci ein vertrautes Gesicht aufgetaucht ist, ein Experte der Luxusbranche, ist wieder Leben in die Welt des berühmtesten Hutmachers unserer Zeit gekommen.

Santuccis erster Streich war es, sich auf High-Profile-Collaborations zu konzentrieren. Und der Branchenexperte wartet bereits mit mehreren großartigen Ideen auf: Die Marke hofft, mit einigen der führenden Couture-Häuser wie z.B. Christian Dior zusammenzuarbeiten. Außerdem plant der 162-jährige Hutmacher ein gemeinsames Projekt mit dem Trend-Label Sacai. Dessen Kreativdesigner Chitose Abe hat das Label aus Tokio zum Liebling der Avantgarde-Mode gemacht.

Im Juli 2018 übernahm die Schweizer Investorengruppe Haeres Equita die Kontrolle von Borsalino. Das Luxushaus ist unter anderem für Humphrey Bogarts Filzhut in Casablanca bekannt, wie auch Harrison Fords Hut in Indiana Jones.

"Borsalino ist ein einzigartiges Accessoire. Es geht darum, in einem immer komplexeren Markt zahlreiche neue Dialoge zu knüpfen", so Santucci. Der Manager war zuvor als Vizepräsident bei Gucci tätig und überblickte bei Dolce & Gabbana die Abteilungen Retail und Lizenzen.



Vivetta - Herbst/Winter 2019 - Mailand - Bild: Vivetta/ Instagram


 
Vivetta

Seit Brunello Cucinelli aus Umbrien auf der Modebühne erschien und zur angesagtesten Lifestyle- und High Fashion-Sensation des Landes wurde, interessiert sich die Welt für weitere Stars aus der Region.

Die jüngste Marke, die Aufsehen erregt, ist Vivetta, eine vorzüglich unkonventionelle, exzentrische Fabrik schräger Retro-Mode. Seit Alessandro Michele seinen Stil bei Gucci zum neuen Toptrend machte, suchte die Branche nach einem Designer, der aus demselben Holz geschnitzt ist. Vivetta Ponti liefert mit ihrem zuckersüßen eleganten Surrealismus eine überzeugende Antwort. Die Designerin wuchs in der Stadt Assisi auf, dessen berühmtester Bewohner – der hl. Franziskus – der Überlieferung nach zu den Vögeln predigte.

Mit abstrakten Blumen überzogene Seidenmäntel, rosafarbene Seidenshorts mit riesigen Schleifen, Velours-Jacken mit vier Taschen wie bei Chanel mit ausgefallenen Blumenmustern, riesige Hüte mit Augenschlitzen in der Krempe und ein XL-Mantel aus Teddybären, wie auch ein Ballet-Rock mit goldbesticktem Velours-Brustschild. Die Show fand im Palazzo Clerici statt. Die großartige Location bot freie Sicht auf Tiepolos Deckengemälde von einem Wagenrennen der Götter des Olymps. Ausgefallen, opernhaft und kommerziell.



Photo: 032C/ Instagram


 
O32C

Nur wenige Menschen arbeiten härter als DJs, und deren Lieblingsstore befindet sich im Navigli-Quartier Mailands: Antonioli. Claudio Antonioli ist eine Schlüsselfigur der Mailänder Modeszene, denn neben seiner Boutique ist er als Mitbegründer an New Guards beteiligt, dem Projekt, zu dem unter anderem Off-White, County of Milan und Heron Preston zählen.

Im Rahmen der jüngsten Modewoche organisierte er eine tolle Party für das Berliner Label O32C. Von grauen Tech-Trainingsanzügen und Omen-Pullovern zu einigen attraktiven neuen T-Shirts mit dem Konterfei von Walter Benjamin. Auf der Rückseite der T-Shirts Worte von Bertolt Brecht: "Ob man auch in den dunklen Zeiten singt? Singen wird man auch über die dunklen Zeiten".

Mode als nützliche Erinnerung an die Zerbrechlichkeit unserer demokratischen Ideale und Länder – auf dass wir niemals vergessen mögen, wie schön es ist, in einem Mehrparteien-Staat zu leben, in dem wir unsere Regierung auch tatsächlich abwählen können.



Arizona Muse für Officina del Poggio in Mailand



Officina del Poggio

Eine Marke, die sich ganz besonders für Nachhaltigkeit einsetzt, ist Officina del Poggio. Die aus Texas stammende Kreativdirektorin Allison Hoeltzel Savini hat sich in der Toskana niedergelassen und wird in ihrer Arbeit vom umweltengagierten Supermodel Arizona Muse unterstützt.

Sie zeigten rechteckige und ovale Handtaschen aus Teilen von Tierhäute, die traditionell weggeworfenen wurden – Straußenbeinleder, wie auch Tote-Bags aus reizvoller Lachshaut. Diese überzogen auch leichte und dennoch robuste Taschen, deren Inneres aus sehr widerstandsfähigem Pappelholz gefertigt war.

"Es geht darum, Abfälle zu vermeiden. Das zu verwenden, was bislang weggeworfen worden wäre", erklärt Arizona Muse das Konzept des Labels. Die jüngste Kollektion der Marke heißt "Reise durch die Serengeti".
 

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