Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
16.02.2022
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NYFW: Bis an die Grenzen

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
16.02.2022

Die bevorzugten Veranstaltungsorte in New York haben sich verändert und viele der größten und dynamischsten Shows finden entweder am östlichen Ende der Stadt am Ufer des East River statt, oder aber ganz im Westen an der Spitze des Hudson.

Drei Designer, darunter zwei gut etablierte und ein aufsteigender Stern, lockten ihre Gäste am fünften Tag der New York Fashion Week an die Außengrenzen von Manhattan, um ihre Kollektionen für den Herbst 2022 zu enthüllen.

Michael Kors



Als Michael Kors kürzlich von Journalisten gefragt wurde, was er denn tun würde, wenn er nicht Designer wäre, antwortete dieser schlagfertig, er wäre wohl Broadway-Showproduzent geworden. Und das ist er bei seinen Laufsteg-Schauen in gewisser Weise auch.


Michael Kors Herbst-/Winterkollektion 2022 - Michael Kors


Für die Herbstkollektion 2022 strahlte sein Name vom Dach und die musikalische Komponente der Show wurde vom amerikanischen Sänger, Songwriter und Schauspieler Miguel sichergestellt. Das übergreifende Thema der Michael Kors-Show war, wie er es in einer für ausländische Journalisten aufgenommenen Pressekonferenz selbst erklärte, "Ausgehen für einen Abend (oder einen Tag) in der Stadt".

"Ich dachte über Belastbarkeit nach, über Selbstvertrauen und Stärke und wie Leute ausscheren und sich auch mal austoben", erklärte Kors seine Kollektion. Er erinnerte an die schwierigen Zeiten, die New York durchlebt hat: Die AIDS-Krise, 9/11 und zuletzt die Pandemie, die weltweit wütete.

"Ich dachte über die Models der frühen Neunziger nach, in die wir uns verliebten und die so viel Selbstvertrauen und Stärke an den Tag legten", sagte er weiter. "Nach 9/11 sagten sie, dass niemand je wieder im Downtown-Viertel würde wohnen wollen. Doch dann sahen wir die Rückkehr dieser unglaublichen Glamour-Explosion und da dachte ich an diese Models".

Heute sagt Kors, er habe es als Segen empfunden, als die Menschen sich wieder in Schale warfen und im Big Apple ausgingen. "Diese Show ist eine Liebeserklärung an genau diese Energie, auszugehen und überall einfach großartig auszusehen". Er sagte auch, die Menschen seien selbstbewusster denn je. "Da braucht man keine Konfektionsgröße 30 zu tragen oder 22 Jahre als zu sein".

Da es sich um eine Winterkollektion handelte, lag der Fokus auf grellen, dramatischen, Statement-Pieces mit Outerwear, dazu passende Kleider oder Hosen. "Es geht um ein Verhüllen und Enthüllen, darum, in der Stadt unterwegs fantastisch auszusehen und dann, wenn man ankommt, folgt die Enthüllung", erklärte er.

Für den richtigen Effekt braucht es Musik, live oder im Kopf. Das war Miguels Aufgabe, der die Models und Gäste mit einer Reihe von Prince-Coverversionen und eigenen Songs beglückte.

Die Outerwear wirkte wie ein Kokon, mit XL-Chesterfields und dramatischen Hüftgürteln, alles neue Entwürfe, die jedoch zur Linie der größten Kors-Hits passen. Der Designer bevorzugt monochromatische Looks und gibt zu, dass er "süchtig nach der Farbe Camel" sei. Er mag auch große Gesten, so stylte er Mäntel, die von den Schultern rutschen und von den Models festgehalten werden, wie Hollywood-Stars aus früheren Zeiten.

Doch wollte Kors die stolzen Looks nicht nur für die Abendstunden, sondern schneiderte auch Mini-Tweedanzüge mit Kunstpelzkragen für den helllichten Tag. (Wobei der Designer diese Kunst so weit gebracht hat, dass es sehr schwerfällt, seine Kunstfelle von echten zu unterscheiden). Auch Farben strotzten nur so vor Selbstvertrauen mit Pink, Orange und Hellgelb, die auch bei einigen Menswear-Looks zu sehen waren.

Kors will, dass seine Frauen auf der Tanzfläche grandios aussehen. Seine kristallbestickten Abendkleider mit asymmetrischen Schultern und strategisch platzierten Cutouts sowie hohem Schlitz sind wie gemacht für Sexappeal auf der Tanzfläche.

In Hommage an diese Zeit holte er einige Superstars aus den Nullerjahren, wie Carmen Kass, Isabeli Fontana, Malgosia Bela und andere mehr an Bord. Auch der Bürgermeister von New York, Eric Adams, ehrte ihn mit seiner seltenen Präsenz. Auf die Frage, was er von der Show hielt, antwortete der Politiker, der für seine todschicken Outfits bekannt ist: "Es war wirklich gut, und ich habe einen Mantel gesehen, den ich für den Herbst bestellen möchte".

Mit Adams und Kors an vorderster Front wird die Stadt, die nie schläft, im September im Ausgang wieder auf Hochglanz strahlen.

Gabriela Hearst



Auf ihrem Weg zu Gabriela Hearsts Show und zurück nach Manhattan fragten sich die Gäste ihrer Show im Brooklyn Navy Yard, welche Logik hinter dieser Standortwahl steckte – es handelte sich im Grunde um ein rostiges Warenhaus, das vermutlich einst Marineboote oder ähnliches beherbergte. Manhattan verfügt über zahlreiche Leerflächen wie diese, und nicht wenige davon wurden in dieser Woche zu Veranstaltungsorten umfunktioniert.


Gabriela HearstHerbst-/Winterkollektion 2022 - Gabriela Hearst


Ging es dabei in erster Linie um den gebührenden Abstand zwischen den Gästen? Vielleicht. Doch als die Gäste erst einmal Platz genommen hatten, saßen sie Schulter an Schulter in einem großen, kühlen Raum, der durch massive Wärmelampen erwärmt wurde. (In typischer Hearst-Manier bewirtschaftete sie ihre Gäste mit Mezze, sowie warmen und alkoholischen Getränken).

Ein weiterer möglicher Erklärungsansatz für den leeren Raum, der eines eigentlichen Sets entbehrte, könnte eine Anspielung an das Konzept der Androgynität sein, das die Designerin in dieser Saison inspirierte. Der im Begleittext zitierte Professor Emanuele Lugli der Stanford University erklärte, Androgynität sei normalerweise das Privileg der Gottheiten, Engel und heiligen Herrscher, die sich nicht in einer Form einschließen wollen. Durch den leeren Raum konnten die Gäste die Kollektion ohne vorgefasste Meinung nach Belieben interpretieren.

Die handwerkliche und detaillierte Arbeitsweise, für die Hearst bekannt ist, war noch immer omnipräsent. Die Show begann mit einer Reihe von Häkelkleidern, mit Gelben Farbklecksern und Leder-Trenchcoats, die durch vorzügliche, wappenähnliche Stickereien und Laser-Cut-Outs spitzenähnliche Details aufwiesen. Dasselbe war auf einem ledernen Hemdkleid zu beobachten. Amber Valletta rundete die Show ab im enganliegenden Anzug, mit Herrenschuhen und ohne Makeup, um die fließenden Geschlechtergrenzen noch zu betonen. Nicht-binäre Models gingen in traditionellen Anzügen über den Laufsteg. Die Designerin bemerkte im Begleitschreiben, dass sie eine Spende an das Ali Forney Center tätigen wird, das heimatlose LGBTQ+-Jugendliche unterstützt.

Mit gelben und terrakotta-farbenen Farbspritzern betonte sie die zentralen Farben der Saison in monochromatischen Strick-Entwürfen. Ihrer künstlichen Ader ließ sie mit einem Poncho freien Lauf, dessen Print von einem Kunstwerk von Ana Martinez Orizondo stammt. Die Straßentrommel-Band OmgCornello lieferte den Soundtrack zur Show und trommelte dabei auf umgekehrten weißen Tonnen.

Hearst zählt zu den dynamischsten Designern, die dem abgespeckten Programm der NYFW treu geblieben sind. Deshalb kann sie ihren eigenen Takt vorgeben, ihre Show wo immer sie will organisieren und andere dazu ermutigen, dasselbe zu tun.

Peter Do



Der üblicherweise eher zurückhaltende Designer Peter Do wirkte im Backstage-Bereich seiner Herbst-Show 2022 sehr überschwänglich. Aus gutem Grund: Der fleißige Designer zeigte eine pfiffige, herausragende Kollektion, die in ihrer Einfachheit von Komplexität zeugte.

Organisiert wurde die Show im Genesis Center, einem Mehrzweckgebäude, das dem Lifestyle des Luxusautos von Hyundai gewidmet ist. Dies passte zum Designer, der erklärte, er wolle "aufräumen, um daran zu erinnern, weshalb ich mich auf diesen Weg gemacht habe".


Peter DoHerbst-/Winterkollektion 2022 in New York - Peter Do


In seinem Begleitheft erklärte er, er habe "Signature-Entwürfe seiner ersten Kollektionen überarbeitet, modernisiert und weiterentwickelt, gestützt auf das Wissen, das wir uns in den vergangenen vier Jahren angeeignet haben".

"Ich war mit dieser Kollektion etwas egoistisch", gab er im Backstage-Bereich zu. "Ich wollte eine Welt erschaffen und nicht versuchen, es allen recht zu machen", sagte er über seine kuratierte Auswahl mit 36 Looks.

Auch die Farbpalette war auf ein Minimum reduziert, mit Schwarz, Weiß, Grau und hin und wieder Camel- und Jeanskombinationen. Mit paillettenbesetzten Modellen suggerierte Do seine Vision für die weibliche Abendgarderobe.

"Ich wollte die Basis für das Peter Do-Haus legen und die Stiftung aufbauen. Ich weiß nicht, wie lange dies dauern wird, vielleicht gelingt mir das noch in meiner Lebenszeit. Ich bin zuversichtlich, dass es ein richtiges Haus wird, in das die Menschen kommen und in dem sie etwas lernen sowie stolz sein können, Schnittmusterexperte, Näher oder Techniker zu sein".

Ebenso wichtig ist auch die Peter Do-Frau, die ermutigt wird, Kleider zu kaufen, um ihr eigenes Peter Do-Haus einzurichten, Bestandteile, die kombiniert und auf vielfältige Weise getragen, oder auseinandergenommen und mit anderen Entwürfen zusammengeführt werden können. Diese Transformation ist an Pullovern und Jacken zu sehen, deren Ärmel sich durch Druckknöpfe oder Reißverschlüsse öffnen und deren Kragen sich abnehmen lassen. Ein Mantel kann beidseitig getragen werden.

Do erklärte, er probiere die meisten Kleidungsstücke an, einschließlich der Schuhe, um ihre funktionellen Aspekte und den Stil zu testen. Dabei verweist er auf eine langgezogene Schal-/Umhangkombination, die über andere Strickwaren getragen werden kann oder als wollenes Neckholder-Schal-Oberteil wie ein Oberbekleidungsstück wirkt.

Der Designer, der seine Schauen selbst inszeniert, fokussierte stark auf den langen Schal, der auch über Hosen getragen wurde, was den Kleidern zusätzliche Tiefe verleiht. Röcke mit mehreren Gürteln und kantige Jacken waren ebenfalls gut vertreten. Gurt-Taschen, die Do "Jackentaschen" nennt, da sie Jacken nicht wie ein Rucksack verunstalten, können voneinander getrennt oder zusammen getragen werden. Auch hier lieferte der Designer eine persönliche Erklärung: Die doppelten Taschen seien entstanden, als er seinen Hund und seine persönlichen Gegenstände gleichzeitig tragen musste.

Ganz von vorne zu beginnen bedeutete auch, Musteranfertigungen nach Italien zu verlegen, was seiner Arbeit offensichtlich zuträglich war.

"Wir waren dazu gezwungen, da wir während der Pandemie in New York City viele Fabriken verloren haben", erklärte er. Dies scheint die Kollektion auf eine andere Ebene befördert und ihr einen futuristischen Einschlag verliehen zu haben. Vielleicht die Zukunft, die aktuell in der digitalen Welt entsteht? Davon will Do jedoch nichts wissen. "Was ich vom Metaversum denke? Ich bin noch immer in dieser Welt und versuche, sie zu verstehen. Ich versuche noch immer, zu verstehen, wer ich in dieser Welt bin", erklärte er. "Es ist eine Peter Do-Welt. Ich will es nicht allen recht machen".

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