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28.11.2017
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Traditionsstickerei aus dem Erzgebirge entdeckt Crowdfunding

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28.11.2017

Im ohrenbetäubenden Gleichklang rattern die Stickmaschinen vor sich hin, verzieren auf meterlangen Bahnen Tischdecken mit bunten Motiven. Weihnachten steht vor der Tür, in Eibenstock aber hoppeln schon die Osterhasen über den Stoff. Doch so anheimelnd der Betrieb zunächst wirken mag, im Erzgebirge können sie auch Hightech. Neben Tischwäsche und Gardinen aus Plauener Spitze fertigt die Stickerei Funke Einlegesohlen, die quasi atmen können.

Dafür wird ein dreidimensionales Textilmaterial, ein so genanntes Abstandsgewirke, mit verschiedenen Strukturen bestickt. "Mit dem Fuß läuft man auf diesen Strukturen und damit sozusagen auf Luft", erläuterte Geschäftsführer Hartmut Funke. Das Material funktioniere vom Prinzip her wie Schaumstoff. Zigtausende Fasern im Inneren lassen sich elastisch zusammendrücken. Entwickelt wurde es in Zusammenarbeit mit dem Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland in Greiz.

Neben Tischwäsche und Gardinen aus Plauener Spitze fertigt die Stickerei Funke auch Einlegesohlen namens "Airsole". - Airsole


Doch weil niemand bei einer klassischen Stickerei mit einem solchen Hochtechnologie-Produkt rechnet, suchte der Chef von aktuell 30 Mitarbeitern neue Vertriebswege. Er fand sie im Internet. Über die Finanzierungsplattform "Kickstarter" wurden in den vergangenen fünf Wochen rund 250 Menschen aus aller Welt auf das Produkt mit dem Namen "Airsole" aufmerksam. Mehr als 11.000 Euro kamen bislang zusammen. Dafür erhalten die Unterstützer nach der Kampagne, die am Mittwoch (29. November) ausläuft, je nach Beitrag eine oder mehrere der innovativen Einlegesohlen aus dem Erzgebirge.

Mit einem stylischen Video wird das Produkt im Internet schmackhaft gemacht. Offensichtlich mit Erfolg, denn Ziel waren 10.000 Euro. "Darüber hinaus geht es uns aber gar nicht so sehr darum, Geld einzusammeln", erläuterte Vertriebsleiterin Anke Scheibner. Vielmehr wolle man damit international neue Vertriebspartner finden. Erste Anfragen für Importe nach Japan oder in die USA seien bereits eingegangen.

"Auf diese Weise erreichen wir Menschen, die sonst nie auf uns gekommen wären", ergänzte der findige Unternehmer, der ein Drittel seines Umsatzes über Teleshopping generiert und damit frühzeitig andere Wege ging. Gerade für kleine Betriebe biete das Crowdfunding im Internet enorme Chancen, sich weltweit zu vermarkten.

Die globale Kickstarter-Community hat seit Gründung der Organisation mit Sitz in New York im April 2009 bereits mehr als 135.000 Projekte von Musikern, Filmemachern oder eben Unternehmen unterstützt. Demnach kamen auf diese Weise von 14 Millionen Menschen bereits 3,4 Milliarden US-Dollar zusammen. "Ich bin ehrlich, wir hatten davon zuvor noch nie etwas gehört", gibt der 61-Jährige offen zu. Über eine E-Commerce-Agentur aus Plauen sei man auf die Idee gekommen, Innovation und Tradition zu verbinden.

Rund 20.000 Euro habe er investiert. Den gleichen Betrag würde ihn auch eine mehrtägige Fachmesse kosten. Die Reichweite jedoch sei nicht zu vergleichen. Zudem habe man in Vorbereitung des Crowdfundings neue Produkte entwickelt, unter anderem Auflagen für Autositze und Tragepolster für Taschen.

Mit solchen technischen Textilien macht die Stickerei laut Harmut Funke derzeit ein Viertel des Umsatzes. Laut Verband der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (vti) erwirtschaftet die Branche bereits mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes von rund 1,82 Milliarden Euro mit Tech-Textilien. Nur noch rund ein Drittel entfalle auf Heimtextilien. Die etwa 25 Stickereien im Verbandsgebiet, die Mehrheit davon rings um die Spitzenstadt Plauen, beschäftigen etwa 350 Mitarbeiter.

Zum Vergleich: Allein in Eibenstock waren es laut Hartmut Funke vor 1990 noch mehr als 1.000 Sticker. Er reprivatisierte das 1916 vom Großvater gegründete Unternehmen nach der Wiedervereinigung, obwohl er nach eigener Aussage keine Ahnung von Textilien hatte. Als "Erbe" hinterließ ihm der volkseigene Betrieb nach dem Ende der DDR vier Großstickmaschinen von 1910 sowie zwei Stickmaschinen von 1890, die per Lochkarte bedient werden. Ausgerechnet auf diesen alten Maschinen bestickt Funke heute sein Abstandsgewirke. Die hochmodernen Pendants hingegen kommen mit dem Material (noch) nicht zurecht.

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