Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
07.12.2022
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Wird die politische Stellungnahme in der Modebranche zum neuen Paradigma?

Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
07.12.2022

Politischer Aktivismus von Seiten der Marken kann seit rund zehn Jahren beobachtet werden und hat sich seit Beginn des Jahrzehnts mit der Black Lives Matter-Bewegung in den USA zu einem zentralen Thema entwickelt. Zuvor gingen die Marken generell keine politischen Engagements ein und strebten vielmehr einen Konsens an. Sie schlossen sich allerhöchstens punktuell einem sozialen Slogan oder einer nachhaltigen Initiative an. Seit 2015 werden die Botschaften der Marken jedoch immer deutlicher, wobei die Stellungnahmen zunächst den Erwartungen eines Teils der amerikanischen Kunden entsprachen.


Kollektion SavageXFenty für den Pride Month 2021 - SavageXFenty


Am Donnerstag organisierte der französische Modeverband Institut Français de la Mode (IFM) in Paris die Veranstaltung "Fashion Reboot". In diesem Rahmen präsentierten Caroline Ardelet und Benjamin Simmenauer, Dozenten an der Universität Paris 1, die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit zur Konkretisierung des Aktivismus in der Mode. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen waren die immer zahlreicheren Persönlichkeiten, die an öffentlichen Veranstaltungen über ihre Kleidungswahl ihre politische Einstellung oder ihre Identifikation mit einem Anliegen zum Ausdruck bringen.

"Diese Stars setzen sich dadurch der Polemik oder gar Ablehnung eines Teils ihrer Fans oder ihres Publikums aus. Das ist riskant, doch können sie sich von der Masse absetzen und eine spezifische Bindung schaffen. Den Studien zufolge haben die Verbraucher den Wunsch, ihren Konsum mit ihren Werten in Einklang zu bringen. Wie auch Celebrities treffen normale Kunden ihre Kleidungswahl in Übereinstimmung mit ihrem Glauben und ihren Werten. Wir hatten das Gefühl, dass die Politisierung der Mode, die in den 80er und 90er-Jahren sehr stark war, auf eine neue Weise zurückgekehrt ist. Wir wollten mehr darüber erfahren und verfolgten dabei einen rigorosen und wissenschaftlichen Ansatz".

Seit 2020 sind die Erwartungen der Verbraucher noch deutlicher: Viele fordern von den Marken ein klares Engagement. Eine internationale Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos aus dem Jahr 2021 ermittelte, dass über zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner sowie 60 Prozent der Befragten aus Großbritannien und Frankreich eher eine Marke kaufen, die ihre Werte teilt. 2013 bejahten erst 50 Prozent der Umfrage-Teilnehmenden aus den USA und 43 bzw. 44 Prozent derjenigen aus Großbritannien bzw. Frankreich diese Behauptung. Und der Trend hält an. Laut Beratungsinstitut Roland Berger, das Ende 2021 in einem Panel-Test 2000 Konsumenten fragte: "Wie wichtig ist es für Sie, dass die Marken zu gesellschaftlichen Themen klar Stellung beziehen?", antworteten 61 Prozent der 26- bis 40-jährigen und 63 Prozent der 19- bis 25-Jährigen, dies sei ihnen wichtig oder sehr wichtig.


Die Nike-Kampagne zur Unterstützung der Black Lives Matter-Bewegung


Angesichts der jüngsten politischen Krisen und des exponentiellen Anstiegs des politischen Diskurses auf sozialen Netzwerken, wo alle ihre Positionen öffentlich zum Ausdruck bringen können, liegt das Interesse nicht mehr nur bei Marken, die dieselben Werte haben. Die Unternehmen werden heute direkt auf spezifische Anliegen angesprochen, damit sie diese unterstützen. Und es wird klar, dass Statements ohne Engagement oder ohne damit verbundene Handlungen nicht mehr ausreichen", so Benjamin Simmenauer.

Vor dieser Erkenntnis stellen sich viele Marken die Frage, welche Schritte sie nun ergreifen und insbesondere welche Anliegen sie mit ihrer Marke unterstützen und dadurch verbinden wollen.

"Was müssen die Marken tun, um dieses neue politische Bedürfnis zu erfüllen? Sie stehen vor einer Zwickmühle. Auf der einen Seite stehen die Kunden, die von den Marken zu verlangen scheinen, sich in gesellschaftlichen Themen einzubringen. Und auf der anderen Seite müssen sie befürchten, den Versuch zu erwecken, ihre Kunden manipulieren oder sich ein Thema aus opportunistischer und zynischer Überlegung aneignen zu wollen. Wir haben uns dafür entschieden, denjenigen Marken zu helfen, die für ein Engagement bereit sind, aber nicht wissen, wie sie vorgehen sollen", bekräftigt Caroline Ardelet.

Um den Marken Analyse-Tools an die Hand zu geben, befassten sich die beiden Forschenden mit Kleidungsstücken mit Botschaften. Erster zentraler Punkt für eine Modemarke: Der Stil. "Was entscheidend bleibt, ist die Beziehung zum physischen Erscheinungsbild. Dann erstellt der Verbraucher eine Verbindung zu einer Marke, die ihm die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken und zu einem kontroversen Thema Stellung zu beziehen. Es gibt etliche Studien, die belegen, dass diese Verbindung ein Kaufinteresse begründet. Schlussendlich ist es so, dass eine Marke durch die höhere Risikobereitschaft in ihrem Aktivismus die Beziehung zu diesen Konsumenten intensiviert".

"Heiße" und "kalte" Nachrichten: Unterschiedliche Strategien



Im vergangenen April führten Caroline Ardelet und Benjamin Simmenauer eine Studie mit 184 Frauen durch, die Mode konsumieren und im Durchschnitt 32 Jahre alt waren. Ihnen wurden vier T-Shirts der fiktiven Modemarke "Mode" vorgelegt. "Wir hatten zwei Themen. Eines mit einer "heißen" Nachricht – der Krieg in der Ukraine und die Unterstützung für Flüchtlinge – und eines zu einem gesellschaftlichen Thema, namentlich dem Schutz von Frauen vor Gewalt. Für beide Themen gab es ein T-Shirt mit einer Botschaft und ein weißes T-Shirt, das über die Website und die sozialen Netzwerke mit dem entsprechenden Anliegen verbunden war".

Die Botschaft der beiden T-Shirts mit Aufschrift war dieselbe: "Stop Violence" gegen Flüchtlinge und gegen Gewalt an Frauen. Die beiden T-Shirts sind absolut identisch. Doch die von den Forschenden untersuchte Wirkung der vier Produkte wies deutliche Unterschiede auf.

"Je nach Botschaft und ob diese direkt auf dem T-Shirt steht oder lediglich über einen Post zugänglich ist, fielen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus. Für uns steht fest, dass T-Shirts mit Botschaften ein Kommunikationsträger für die aktuellsten kontroversen Themen sein können. Doch der Wunsch, eine Botschaft zu tragen, entsteht bei weniger aktuellen Themen nicht. In unserem Versuch wird es positiver gewertet, wenn sich die Marken in den sozialen Netzwerken engagieren. Wenn eine Marke kein T-Shirt mit einer Botschaft produziert, sondern diskreter in den sozialen Netzwerken oder auf seiner Webseite Stellung bezieht, so erweckt dies den Eindruck, dass ihr das Thema wirklich am Herzen liegt. Der Kunde wird dies als Engagement werten, das nicht einem opportunistischen oder zynischen kommerziellen Schritt entspricht", erklärten die Forschenden.

Diese ersten Anhaltspunkte werden im Rahmen weiterer Fallstudien zu den verschiedenen Produktkategorien noch vertieft. Doch sind sie schon heute eine große Hilfe für Marken und ihre strategischen Entscheidungen hinsichtlich der zu unterstützenden Anliegen.
 

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